"Frieden wird nicht zwischen Freunden, sondern
zwischen Feinden geschlossen."
Jitzchak Rabin
Ich
komme in die Klasse rein und sehe zwei Gruppen, zwei sehr dynamische Gruppen.
Auf
der einen Seite sind die Mädchen versammelt, auf der anderen das männliche
Geschlecht der Klasse. Das riecht jetzt schon nach Ärger. Mittendrin sitzt
Mandy. Verquollenes Gesicht, große Tränen und mindestens 3 Packungen
verbrauchte Taschentücher, die sich vor ihr in einem Berg häufen. Um sie stehen
alle anderen Mädchen. (Ich habe ja nicht so viele in der Klasse, deswegen ist
die Jungenmenge um einiges riesiger.) Sie alle schauen Mandy mit einem seeehr
schmerzvollen Blick an, tätscheln ihre Hand und versuchen sie zu beruhigen. Man
könnte meinen, jemand sei gestorben.
Auf
der anderen Seite Fatih mit den Jungs. Sie schreien alle durcheinander.
Geschubse. Jeder will möglichst schnell und möglichst nah an Fatih kommen, um
ihm die bestmögliche Variante für die Lösung des Konflikts zu unterbreiten.
Diese Vorschläge will ich gar nicht hören. Fatih hat einen sehr
Wütend-ich-schlag-hier-gleich-alles-kaputt-Bilck drauf. Hilfe.
Trotz
der furchtbar angespannten Lage, gelingt es mir jeden zu seinem Platz zu
bewegen und mit dem Unterricht anzufangen. Ich muss aber den beiden
versprechen, nach der Stunde ein Gespräch mit ihnen zu führen. Meine schöne
Pause... und Tschüss.
Nach
nur 5 Minuten Unterricht, merke ich, dass Christina irgendetwas unterm Tisch
macht. Es bedarf keines großen Detektives, um herauszufinden, dass sie SMS
schreibt. Sie ist so vertieft, dass sie gar nicht merkt, wie ich bei ihr stehe
und das Handy einfordere.
“Alles
SMS verschickt? Alle benachrichtigt, dass du jetzt in der Schule sitzt? Jetzt
kannst du ja mir das Handy geben!”
- „Bitte,
nehmen Sie nicht ab. Ich schwör, ich pack weg!“
„Zu
spät.“
-
„Ok, darf ich noch SIM-Karte rausnehmen?“
„Natürlich
nicht!“ Ich schnappe mir das Handy und fahre weiter mit dem Unterricht fort.
Christina legt ihr Gesicht auf die Arme und hebt den Kopf nicht mehr, bis es
klingelt.
Es
klingelt. Christina will es noch mal versuchen.
-
„Mrs. Johnson. Bitte bitte bitte. Krieg ich Handy wieder?“
„Nein.
Kannst du in zwei Wochen abholen.“
-
„Wie zwei Wochen? In echt? Aber was soll ich zwei Wochen machen ohne Handy? Und wenn
meine Mutter mich anruft?“
„Dann
kannst du ja deiner Mutter heute nach der Schule erklären, weshalb du ohne
Handy nach Hause gekommen bist. Sie wird sich bestimmt freuen.“
-
„Aber ich hab doch nur Uhr geguckt auf Handy!“
„Du
guckst aber lange auf die Uhr! Seit wann braucht man 3 Minuten, um
herauszufinden, welche Zeit die Uhr anzeigt? Sollen wir das noch mal üben, mit
dem Uhrlesen?“
Plötzlich
schaltet sich Dejan ins Gespräch ein: - „Aller, Mrs. Johnson, Sie haben doch IPhone-Handy. Hat Ihr Iphone
Jailbreak? Brauchen Sie Cover? Ich besorge Ihnen für übertrieben gute Preis!
Wollen Sie?”
„Ich
will, dass du dir selbst ein paar gute Noten und Pünktlichkeit besorgst!!”
- „Hä?”
Gülcan
möchte es nun auch genauer wissen.
- „Mrs.
Johnson, haben Sie wirklich Iphone? Ich habe Sie Facebook gestalkt und wollte
rausfinden!”
„So
so, die Gülcan, spioniert mir nach…”
„Nein,
ich schwör, nicht so! Ich hab mit Lukas in Chat bei Facebook über Sie
gesprochen und wir haben so geredet. Hat sie Iphone oder nicht?”
- “Wissen Sie
was, Mrs. Johnson? Meine Mutter hat gesagt, wenn ich gute Noten habe, krieg ich
direkt Iphone!” Na wenn das keine
Motivation für Gülcan ist, dann weiß ich auch nicht. Warum habe ich nie solche
Sachen für guten Noten bekommen? Irgendwas habe ich falsch gemacht. Oder aber
andersrum: meine Eltern alles richtig.
„Ha
Ha Ha. Biiitttteee, Sie sind die netteste und beste Lehrerin auf diese Schule!“
„Hör
auf zu schleimen und geh in die Pause. Die Antwort lautet immer noch NEIN!“
Christina
dreht sich um. Ich höre, wie sie vor sich hin murmmelt: „Das werden Sie
bereuen! Zieht die mein Handy ab. Is die scheiße. Ich hasse Lehrer, auch die!“ Hmmm,
gerade eben war ich noch die netteste Lehrerin. Hab schon Angst.. Hier wurde
heute kein Frieden geschlossen.
Die
Schüler sind draußen. Nur Mandy und Fatih warten brav. Jeder an einem anderen
Ende des Raumes. Mandy sieht aus wie ein Häufchen Elend. Fatih scheint sich
auch beruhigt zu haben.
„Dann
erzählt mal, was passiert ist.“ Mandy fängt an.
-
„Diese Missgeburt hat mir die ganze Zeit meine Sachen geklaut und mich mit dem
Buch geschlagen!“ Das arme Buch.
-
„Was du labberst! Mrs. Johnson. Mandy hat angefangen. Sie sitzt ja hinter mir
und die hat mir die ganze Zeit so Haare gezogen. Wie das nervt! Sie übertreibt.
Und dann hat sie noch anderen erzählt, ich bin schwul. Bist du dumm?“ Meinen
die es eigentlich ernst?? Ich verschwende meine Pause gerade, um irgendeinen
Kinderkram zu klären??
- „Aber wenn du doch schwul bist! Mit
Daniel. Gib zu, du stehst auf Daniel!“ Wenn er auf jemanden steht, dann
offensichtlich auf dich, liebe Mandy!
-
„Bin ich gar nicht. Gucken Sie, Mrs. Johnson, was die redet!!“ Ok, ich habe
genug gehört. Ich muss mal die Situation auflockern.
„Also
für mich sieht es nach 'was sich liebt, das neckt sich', aus.“ Ich lächele. Die
Gesichter der beiden zucken nicht mal, bis Fatih sagt: „Hä? Was ist das für ein
Satz?“
„Es
ist ein Sprichwort. Eigentlich habe ich den Eindruck, dass ihr einander echt
mögt. Könnt ihr nicht auf einem gesunden Weg die gegenseitige Aufmerksamkeit
bekommen und nicht so? Damit wäre uns allen geholfen!“ Mandy wird leicht rot,
gibt aber nicht nach.
-
„Aller, Mrs. Johnson, ich hass den!“
-
„Ich hass dich auch!“ Plötzlich fängt Fatih an zu lachen. Und auch Mandy
lächelt.
„So,
Kinder, vertragt euch! Und alles andere könnt ihr wohl alleine klären! Diesmal
aber bitte friedlich!“ Die beiden geben sich die Hand. Es ging doch
schneller, als ich dachte. Friedensverhandlung erfolgreich. Worum ging es hier
eigentlich? Beide bewegen sich in Richtung Tür. Mandy dreht sich um.
-
„Mrs. Johnson...“
„Ja?“
-
„Die Stunde heute war voll schön.“
Schöne Momente machen aus unserem Leben einen Traum.
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