„Beliebtheit
sollte kein Maßstab für die Wahl von Politikern sein. Wenn es auf die
Popularität ankäme, säßen Donald Duck und die Muppets längst im Senat.“
Orson Welles
Heute
morgen bin ich mit einer Supernachricht aufgewacht, die aus dem Radio ertönte.
Berliner Beamte sollen ab dem 1. August mehr Gehalt bekommen. Laune gleich im
Keller. Wenn bereits existierende Beamte mehr Geld bekommen sollen, dann ist
doch das Geld da?! Warum kann man dann uns Junglehrer nicht endlich mal
verbeamten und uns mit den anderen Kollegen im Lehrerzimmer gleichstellen?
Lehrer, die aus einem anderen Bundesland als Beamte nach Berlin kommen, werden
ja auch weiterhin mit allen Privilegien versehen! Also gleich morgens Laune im
Keller.
Im
Klassenraum angekommen, merke ich, dass es auch anderen Schülern wie mir gehen
muss. Irgendwas stimmt da nicht. Viele hängen lustlos in ihren Stühlen. Die
haben wahrscheinlich andere Nachrichten heute morgen gehört. Die Schulzeit soll
um ein Jahr verlängert werden oder so.
"Efkan,
was ist denn los?"
-
"Mrs. Johnson, ich faste. Können wir heute Schule ausfallen lassen?"
"Du
fastest??"
-
"Ja, Mrs. Johnson. Ramadan, noch halbe Monat."
"Ah,
stimmt ja. Aber gestern warst du doch noch ganz munter und ihr fastet doch
schon eine Weile?!"
-
"Ja, aber gestern war zweiter Schultag. Noch gechillt. Und jetzt arbeiten?
Nee ey."
"Leider
doch. Auch du musst jetzt einen Stift und Papier auf deinem Tisch haben."
Efkan verzieht das Gesicht und bewegt sich im Sekundentempo zu seiner Tasche,
um sein Zeug zu holen. Das kann ja heiter werden.
"Wer
möchte den ersten Absatz lesen?"
"Bitte
nicht so viele auf einmal! Abdul?"
-
"Nee..."
"Komm
Abdul, es ist nur ein Absatz."
-
"Mrs. Johnson, ich faste..."
"Leute,
das Fasten kann doch nicht Ausrede für alles sein! Ihr geht nun mal in dieser
Zeit zur Schule und da müsst ihr volle Leistung bringen!"
Auch
Önder fastet und muss uns seine Meinung mitteilen.
-
"Mrs. Johnson ich schwöre auf alles, ist übertrieben schwer. Aber ist nur
Phase, is bald zu Ende."
"Das
glaube ich, dass es schwer ist. Dennoch, wir müssen hier weiterkommen."
Die Fasten-Ausrede habe ich dann noch mehrere Male während dieser Stunde
gehört, irgendwie haben wir den Text aber doch bis zum Ende gekriegt. Viel zu
langsam, aber immerhin. Wollen wir uns mal nicht beschweren, schließlich hatte
jeder den Text dabei.
-
"Mrs. Johnson, ich schwör, Sie haben's drauf."
"Ah
ja?"
-
"Ja, wie Sie uns immer zwingen, Sachen zu machen und wir machen die."
"Was
quatschst du da?"
-
"Wir wollen ja nicht lesen, schreiben und arbeiten und so. Und dann
zwingen Sie uns und wir machen es. Wie machen Sie das??" Gute Frage, wenn es immer funktionieren
würde, würde ich "das Rezept" sofort an alle anderen Lehrer
verkaufen, würde reich werden und müste nicht mehr arbeiten!
"So
Leute, nachdem ihr nun hart gearbeitet habt, müssen wir uns einigen
organisatorischen Dingen widmen. Auch unsere Klasse braucht Klassensprecher und
die müssen jetzt gewählt werden."
-
"Uuuuh wichtig, ich werde!" Gerade noch hing Abdul halbtot im Stuhl.
Jetzt springt er durch die Klasse und ernennt sich schon mal selbst zum
Klassensprecher.
"Abdul,
wir wählen einen Klassensprecher und nicht du bestimmst, wer es sein wird. Es
heißt KlassensprecherWAHL." Wir besprechen, welche Eigenschaften der
Klassensprecher haben und welche Aufgaben er übernehmen muss. Die, die sich zur
Wahl stellen wollen, werden immer weniger.
-
"Ey wählt mich ma! Ihr kriegt alle Döner und ich werde miesnett
sein!" Abdul ist rot vor Aufregung und ich muss befürchten, dass er sich
heute nicht mehr beruhigen wird.
-
"Setz dich hin, du Opfer, gar nix wähl ich dich. Ich will werden. Aber
Mrs. Johnson, ich will irgendwie bestimmen und nix zu tun haben mit
Verantwortung und so. Was das Verantwortung? Welcher Knecht hat die erfunden?
In der Grundschule da hab ich so Eimer mit voll eckligen Sachen umgeworfen und
die Lehrerin war üüüübertrieben sauer, ich dacht, die schlägt mich. Ich schwör
auf Koran, ich dacht, die schlägt mich. Ich hätt die so angezeigt!"
"Önder,
komm zum Punkt! Ist deine Geschichte aus der Grundschule irgendwann zu
Ende?"
-
"Aller Mrs. Johnson, unterbrechen Sie mich ma nicht. Ist unhöflich. Sie
wollte, dass ich diese Kotze da aufräume. Is die hässlich, denkt die, ich fass
das an! Gar nix mach ich."
"Oooook
und was hat das Ganze mit der Klassensprechenwahl zu tun?"
-
"Die, also meine Lehrerin, die hat dann unseren Klassensprecher auswendig
gemacht."
"Ausfindig
gemacht."
-
"Ja meine ich doch, auswendig gemacht. Und der musste mit mir dann reden
und so..." Wie kann man so viel
Energie für's Reden und gleichzeitig Bewegen aufbringen, wenn man nichts
trinken und essen darf?
"Ok
Önder, krasse Geschichte. Ich schlage vor, du setzt dich wieder hin und wir
fahren mit der Wahl fort." Önder setzt sich. Doch nicht so viel Energie.
Wir
wählen also. Abdul schreit immer wieder, wie schrecklich aufgeregt er ist.
Melina entscheidet in letzter Sekunde, dass sie sich auch zur Wahl stellen
will. Can fragt fünf Mal, wie viele Namen er auf den Zettel schreiben kann,
Antonio erörtert, was er alles als Klassensprecher verändern möchte, Abdul
rennt durch die Klasse und möchte uns allen mitteilen, wie schrecklich
aufgeregt er ist. Önder erläutert, warum Klassensprecher zu haben "ohne
Sinn" ist, Mirko diskutiert mit Önder und sagt, dass Klassensprecher
"voll mit Sinn" ist. Und ich versuche, die Wahl endlich
abzuschließen. Im Endeffekt haben wir 14 Zettel mit Namen. Jeweils einem Namen,
das hätte wir geschafft. Leider sind heute nur 11 Schüler da. Wahl manipuliert! Skandal! Uns passt das
Ergebnis und wir wollen auf keinen Fall ein zweites Mal wählen. Wirklich auf keinen Fall. Schließlich haben wir heute noch andere Dinge auf dem Programm. Antonio und Mandy sind Klassensprecher geworden. Önder beschwert sich
lauthals, dass die Wahl ungültig ist und wir noch mal wählen müssen. Abdul
beschwert sich ebenfalls.
- "Ich hatte voll die Chancen zu gewinnen. Was habt ihr gemacht, könnt ihr nicht wählen?? Voll die ehrenlosen Kinder! Nächstes Mal werde ich so ein King sein, da werdet ihr mich auf Knien bitten, dass ich euch erlaube, mich zu wählen!" Nächstes Mal...
- "Ich hatte voll die Chancen zu gewinnen. Was habt ihr gemacht, könnt ihr nicht wählen?? Voll die ehrenlosen Kinder! Nächstes Mal werde ich so ein King sein, da werdet ihr mich auf Knien bitten, dass ich euch erlaube, mich zu wählen!" Nächstes Mal...
Das ist Demokratie.
AntwortenLöschenZumindest der Aanfang davon.
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