Mittwoch, 8. August 2012

Klassensprecherwahl

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Beliebtheit sollte kein Maßstab für die Wahl von Politikern sein. Wenn es auf die Popularität ankäme, säßen Donald Duck und die Muppets längst im Senat.

Orson Welles

Heute morgen bin ich mit einer Supernachricht aufgewacht, die aus dem Radio ertönte. Berliner Beamte sollen ab dem 1. August mehr Gehalt bekommen. Laune gleich im Keller. Wenn bereits existierende Beamte mehr Geld bekommen sollen, dann ist doch das Geld da?! Warum kann man dann uns Junglehrer nicht endlich mal verbeamten und uns mit den anderen Kollegen im Lehrerzimmer gleichstellen? Lehrer, die aus einem anderen Bundesland als Beamte nach Berlin kommen, werden ja auch weiterhin mit allen Privilegien versehen! Also gleich morgens Laune im Keller.

Im Klassenraum angekommen, merke ich, dass es auch anderen Schülern wie mir gehen muss. Irgendwas stimmt da nicht. Viele hängen lustlos in ihren Stühlen. Die haben wahrscheinlich andere Nachrichten heute morgen gehört. Die Schulzeit soll um ein Jahr verlängert werden oder so.
"Efkan, was ist denn los?"
- "Mrs. Johnson, ich faste. Können wir heute Schule ausfallen lassen?"
"Du fastest??"
- "Ja, Mrs. Johnson. Ramadan, noch halbe Monat."
"Ah, stimmt ja. Aber gestern warst du doch noch ganz munter und ihr fastet doch schon eine Weile?!"
- "Ja, aber gestern war zweiter Schultag. Noch gechillt. Und jetzt arbeiten? Nee ey."
"Leider doch. Auch du musst jetzt einen Stift und Papier auf deinem Tisch haben." Efkan verzieht das Gesicht und bewegt sich im Sekundentempo zu seiner Tasche, um sein Zeug zu holen. Das kann ja heiter werden.
"Wer möchte den ersten Absatz lesen?"
"Bitte nicht so viele auf einmal! Abdul?"
- "Nee..."
"Komm Abdul, es ist nur ein Absatz."
- "Mrs. Johnson, ich faste..."
"Leute, das Fasten kann doch nicht Ausrede für alles sein! Ihr geht nun mal in dieser Zeit zur Schule und da müsst ihr volle Leistung bringen!"
Auch Önder fastet und muss uns seine Meinung mitteilen.
- "Mrs. Johnson ich schwöre auf alles, ist übertrieben schwer. Aber ist nur Phase, is bald zu Ende."
"Das glaube ich, dass es schwer ist. Dennoch, wir müssen hier weiterkommen." Die Fasten-Ausrede habe ich dann noch mehrere Male während dieser Stunde gehört, irgendwie haben wir den Text aber doch bis zum Ende gekriegt. Viel zu langsam, aber immerhin. Wollen wir uns mal nicht beschweren, schließlich hatte jeder den Text dabei.
- "Mrs. Johnson, ich schwör, Sie haben's drauf."
"Ah ja?"
- "Ja, wie Sie uns immer zwingen, Sachen zu machen und wir machen die."
"Was quatschst du da?"
- "Wir wollen ja nicht lesen, schreiben und arbeiten und so. Und dann zwingen Sie uns und wir machen es. Wie machen Sie das??" Gute Frage, wenn es immer funktionieren würde, würde ich "das Rezept" sofort an alle anderen Lehrer verkaufen, würde reich werden und müste nicht mehr arbeiten!

"So Leute, nachdem ihr nun hart gearbeitet habt, müssen wir uns einigen organisatorischen Dingen widmen. Auch unsere Klasse braucht Klassensprecher und die müssen jetzt gewählt werden."
- "Uuuuh wichtig, ich werde!" Gerade noch hing Abdul halbtot im Stuhl. Jetzt springt er durch die Klasse und ernennt sich schon mal selbst zum Klassensprecher.
"Abdul, wir wählen einen Klassensprecher und nicht du bestimmst, wer es sein wird. Es heißt KlassensprecherWAHL." Wir besprechen, welche Eigenschaften der Klassensprecher haben und welche Aufgaben er übernehmen muss. Die, die sich zur Wahl stellen wollen, werden immer weniger.
- "Ey wählt mich ma! Ihr kriegt alle Döner und ich werde miesnett sein!" Abdul ist rot vor Aufregung und ich muss befürchten, dass er sich heute nicht mehr beruhigen wird.
- "Setz dich hin, du Opfer, gar nix wähl ich dich. Ich will werden. Aber Mrs. Johnson, ich will irgendwie bestimmen und nix zu tun haben mit Verantwortung und so. Was das Verantwortung? Welcher Knecht hat die erfunden? In der Grundschule da hab ich so Eimer mit voll eckligen Sachen umgeworfen und die Lehrerin war üüüübertrieben sauer, ich dacht, die schlägt mich. Ich schwör auf Koran, ich dacht, die schlägt mich. Ich hätt die so angezeigt!"
"Önder, komm zum Punkt! Ist deine Geschichte aus der Grundschule irgendwann zu Ende?"
- "Aller Mrs. Johnson, unterbrechen Sie mich ma nicht. Ist unhöflich. Sie wollte, dass ich diese Kotze da aufräume. Is die hässlich, denkt die, ich fass das an! Gar nix mach ich."
"Oooook und was hat das Ganze mit der Klassensprechenwahl zu tun?"
- "Die, also meine Lehrerin, die hat dann unseren Klassensprecher auswendig gemacht."
"Ausfindig gemacht."
- "Ja meine ich doch, auswendig gemacht. Und der musste mit mir dann reden und so..." Wie kann man so viel Energie für's Reden und gleichzeitig Bewegen aufbringen, wenn man nichts trinken und essen darf?
"Ok Önder, krasse Geschichte. Ich schlage vor, du setzt dich wieder hin und wir fahren mit der Wahl fort." Önder setzt sich. Doch nicht so viel Energie.

Wir wählen also. Abdul schreit immer wieder, wie schrecklich aufgeregt er ist. Melina entscheidet in letzter Sekunde, dass sie sich auch zur Wahl stellen will. Can fragt fünf Mal, wie viele Namen er auf den Zettel schreiben kann, Antonio erörtert, was er alles als Klassensprecher verändern möchte, Abdul rennt durch die Klasse und möchte uns allen mitteilen, wie schrecklich aufgeregt er ist. Önder erläutert, warum Klassensprecher zu haben "ohne Sinn" ist, Mirko diskutiert mit Önder und sagt, dass Klassensprecher "voll mit Sinn" ist. Und ich versuche, die Wahl endlich abzuschließen. Im Endeffekt haben wir 14 Zettel mit Namen. Jeweils einem Namen, das hätte wir geschafft. Leider sind heute nur 11 Schüler da. Wahl manipuliert! Skandal! Uns passt das Ergebnis und wir wollen auf keinen Fall ein zweites Mal wählen. Wirklich auf keinen Fall. Schließlich haben wir heute noch andere Dinge auf dem Programm. Antonio und Mandy sind Klassensprecher geworden. Önder beschwert sich lauthals, dass die Wahl ungültig ist und wir noch mal wählen müssen. Abdul beschwert sich ebenfalls. 
- "Ich hatte voll die Chancen zu gewinnen. Was habt ihr gemacht, könnt ihr nicht wählen?? Voll die ehrenlosen Kinder! Nächstes Mal werde ich so ein King sein, da werdet ihr mich auf Knien bitten, dass ich euch erlaube, mich zu wählen!" Nächstes Mal...

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