"Du hast es
eingerührt, du muß es auslöffeln."
Terenz
Der
Auftrag der Eltern heißt 'erziehen und bilden'. Der Auftrag der Schule heißt
'bilden und erziehen'. Das ist ein Riesenunterschied. Wenn ich schätzen müsste,
würde ich sagen, 80% unserer Arbeit widmen sich der Erziehung unserer
Sprösslinge und nur 20% der Bildung. Wenn es hoch kommt. Bevor man erklären
kann, warum der 1. Weltkrieg ausgebrochen ist, was eine Synapse ist oder wie
Flächen berechnet werden, muss man lernen, dass es Regeln und Pflichten gibt,
dass Höflichkeit nie verkehrt sein kann und dass nicht jeder Mensch auf der
Straße darauf hinaus ist, dir eins in die Fresse zu schlagen. Diese Aufgabe ist
echt schwierig und ich zweifele sehr oft daran, ob ich die Fähigkeit habe, sie
zu erfüllen. Die Jugendlichen sind voller Hass, Enttäuschung und
Perspektivlosigkeit. Eigentlich bezweifele ich, dass man die Menschen
grundlegend ändern kann. Ich muss es dennoch versuchen. So lautet eben unser Auftrag.
Gleich in der 1. Stunde sollte ich die Gelegenhiet dazu bekommen. Nicht
bestellt und doch bekommen.
Zehn
Minuten nach dem Klingeln klopft es an der Tür. Nein, es hämmert. So laut, dass
wir alle zusammenzucken und ich an ein Erdbeben denke und sich bereits
Evakuierungsszenen in meinem Kopf abspielen. Ich renne zur Tür und reiße sie
auf. Nafisa steht vor mir. Mt knallrotem Kopf.
"Sag
mal, hast du nicht gelernt, etwas menschlicher zu klopfen???"
-
"Hä? Sie haben doch gesagt, man soll klopfen, wenn man zu spät ist."
"Genau,
ich sagte klopfen und nicht gleich die Tür eintreten!!"
-
"Hä? Aber sonst hören Sie doch nix! Und ich bin gerannt!"
"Das
üben wir noch mal. Warum bist du zu spät?"
-
"Tut mir voll leid. Verschlafen." Jetzt
geht das schon wieder los. Das Schuljahr ist noch so jung. Dieses Jahr wird es
ernst, sie müssen bald arbeiten. Wenn sie paar Mal zu spät zur Arbeit
erscheinen, sind sie draußen. Es schreit nach Konsequenzen.
"Jetzt
müssen wir mal alle zusammen beraten. Was machen wir jetzt mit Nafisa?"
-
"Sie soll nachsitzen."
-
"Lassen Sie sie 3 Wochen Ordnungsdienst machen!"
-
"Schläge?"
"Leute,
ich brauche ernsthafte Vorschläge! Wie wär's denn, wenn jeder, der etwas
verbrochen hat in die Klassenkasse einzahlt?" Hat
ja letztes Jahr auch funktioniert.
Jannes ist
strikt dagegen, auch Antonio wehrt sich.
-
"Mrs. Johnson, auf keinsten! Wasn daran schlimm, mal zu spät kommen? Ist
doch voll menschlich. Und dann gleich wie im Gefängnis, Strafe!"
"Mal
zu spät kommen kann passieren, aber wir hatten in der ersten Woche gleich 4 Verspätungen!
Und es ist erst die erste Woche. Wenn nichts passiert, geht es doch so weiter.
Es muss Konsequenzen geben. Im wahren Leben gibt es die auch. Im Berufsleben
wird keiner weggucken, sondern euch feuern!"
-
"Jaaa... Berufsleben ist ja auch was anderes."
"Nein,
das ist nichts anderes! Es geht um die Einstellung. Wenn sie jetzt nicht
geändert wird, dann passiert das nie." Langsam werde ich ungeduldig, schön
die Regeln missachten und dann keine Konsequenzen tragen wollen!
Nafisa
holt bereits ihr Portemonnaie raus. - "Was soll ich zahlen? Soll ich Ihnen
Euro geben?"
-
"Aller Mädchen, bist du behindert? Mach doch lieber Ordnungsdienst zwei
Wochen!"
"Ähm
Mirko, wir haben uns doch noch gar nicht auf Ordnungsdienst geeinigt!"
Auch Nafisa sieht es überhaupt nicht ein.
-
"Ich mach doch kein Ordnungsdienst! Ich lass mich doch nicht knechten!
Hier ich geb Ihnen 1€, kaufen Sie davon eine Putzfrau!"
"Leute,
so kommen wir nicht weiter!"
-
"Was machen Sie überhaupt mit dem Geld, wenn wir was in der Kasse
haben?" Ich habe das Gefühl zu sehen, wie es in Antonios Kopf raucht und
er nachdenkt.
"Mal
schauen, das entscheiden wir dann. Einen schönen Ausflug zum Beispiel..."
-
"Aaaaah so, ich dachte, Sie gehen McDonalds essen oder so."
"Doch
nicht McDonalds! Ich schnappe mir Frau Kollegin und dann vereisen wir für ein Wochenende. Möglichst teuer!"
-
"Maaan Mrs. Johnson, bleiben Sie mal ernst!"
"Bleib
du mal ernst!" Ich merke, dass wir zu nichts kommen und verschiebe die
Diskussion. Irgendwas muss ich mir überlegen!
Nafisas
Verspätung und unsere Geld-als-Strafe-Auseinandersetzung ist schnell vergessen
und wir machen mit dem Unterricht weiter. Bis Antonio und Önder anfangen, sich
laut streiten. Ich weiß gar nicht, um was es ging. Und zugehört habe ich erst
ab dem Moment, als Antonio zu Önder sagte: - "Halt die Fresse, du
Jude!" Ich reagiere ja ganz allergisch darauf. Genauso wie auf 'Zigeuner',
'Schwuchtel', 'Behindert' und anderen solchen Kram. Ich könnte kotzen, vor
lauter Ignoranz und Böswilligkeit! Es klingelt.
"Ihr
könnt alle runter gehen. Antonio, du bleibst hier!"
-
"Hä? Was habe ich gemacht?"
-
"Ich weiß es! Ich habe es genau gehört!!" Gut aufgepasst, Mandy.
"Kannst
du dir vorstellen, warum du hier bist?" Antonio guckt mich total ratlos
an.
-
"Nee..." Ich erinnere den Herren an sein Vergehen.
-
"Ich hab das gar nicht gesagt!"
"Antonio!
Bleib wenigstens ehrlich!"
-
"Ich hab es wirklich nicht gesagt!"
"Klar
hast du das. Ihr benutzt diese Wörter, ohne es zu merken! Das macht die Sache
doppelt so schlimm!"
-
"Was ist denn so schlimm? Man spricht so..."
"Nein,
man spricht nicht so! Warum beleidigst denn andere Menschen? Abgesehen davon,
dass es unfassbar unlogisch ist, Religionen oder sexuelle Orientierungen als
Beleidigung zu benutzen!!"
-
"Aber das ist doch gar nicht böse gemeint, ich will doch keinen
beleidigen... Meine Kumpel reden auch so." Natürlich reden sie auch so. Nur macht es die Sache leider nicht
besser. Oh man, was mache ich denn jetzt?
"Und
wenn deine Kumpels so reden, ist es erlaubt? Du beleidigst diese Menschen, auch
wenn du dir dessen nicht bewusst bist!! Du schreibst einen Aufsatz bis morgen. Über
jüdische Feiertage. Eine Seite. Und dann schreibst du, warum es keinen Sinn
macht, solche Beleidigungen von sich zu geben. Die lässt du von deinen Eltern
unterschreiben und gibst mir das Ganze morgen ab. Wenn du Glück hast, erzählst du
der Klasse noch mal, was du rausgefunden hast."
-
"Scheiße!"
"So
sieht es aus!"
Der
Erziehungsprozess fängt erst jetzt an. Jetzt muss man nur noch Zeit für die
Bildung finden...
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