"Es ist nicht zu wenig Zeit, die wir haben,
sondern es ist zu viel Zeit, die wir nicht nutzen."
Lucius Annaeus Seneca
Abdul macht sein Praktikum in einem
Teeladen. Ich mag Praktikumsbesuche. Man lernt neue Menschen und neue Orte
kennen und man bekommt was umsonst. Ich freue mich auf den Besuch, hoffentlich
bekomme ich eine Tasse Tee angeboten. Bei der Kälte wäre so ein Tee nun
wirklich nicht das Schlechteste. Ich komme also bestens gelaunt in den Laden.
"Guten Morgen! Guten Morgen,
Abdul!" Abdul verzieht seine Lippen nicht mal zu einem Lächeln und brummt
mir irgendwas entgegen. Muss irgendwas in Richtung "Hallo" sein. Na
super. Jetzt muss Abdul also mindestens eine halbe Stunde bespaßt werden und ich
hoffe, dass er mir die Ehre erweist, zuzuhören. Wahrscheinlich ist es nicht
sehr vorteilhaft, mit so einer negativen Einstellung an die Situation
ranzugehen, aber Abdul lächelt einfach nicht. Das wird toll, ich ahne es.
Wir setzen uns an den Tisch.
"So Abdul, zeig mal deine
Ordner!"
- "Welche Ordner?"
"Na Deutsch, Mathe, Englisch.
Fangen wir doch mal mit Deutsch an. Wo ist denn das Arbeitsblatt von
gestern?" Abdul wühlt und wühlt und wühlt in seinem Rucksack und sein
Gesicht wird immer böser. Er greift mit beiden Armen in den Rucksack und nimmt
einen Stappel Blätter raus. Schmutzige, angerissene, nicht ausgefüllte Blätter.
Mathe, Deutsch, Englisch durcheinander.
"Abdul, wo sind denn deine
Ordner?"
- "Ja hier. Hab doch!"
"Abdul, die Ordner sind da, um die
Arbeitsblätter einzuordnen."
- "Ja, ich weiß doch." Er
rollt mit den Augen und ich habe den Tee schon längst vergessen.
Wir ordnen also erstmal alle Blätter.
Zuerst zu den einzelnen Fächern, dann in die Ordner. Abdul ist überarbeitet.
Leider muss noch einiges erledigt werden.
"Was ist mit der Aufgabe, die du
in zwei Wochen abgeben musst?"
- "Hab ich."
"Wo?"
- "In meinem Kopf. Ich hab schon
alles durchgedacht."
"Abdul, du musst es in
schriftlicher Form abgeben! Du musst ein Plakat machen und eine Präsentation
halten. Das ist viel Arbeit und du hast nur noch zwei Wochen."
- "Ja, ich hab doch noch zwei
Wochen. Reicht. Wissen Sie, wie viel das ist?"
"Ich weiß, wie wenig das
ist."
- "Boah, warum stressen Sie so?
Ich werd schon machen!"
"Das hoffe ich!"
- "Diese Aufgabe stresst mich
mehr, als Schule. Ich schwöre..." Er rollt schon wieder mit den Augen. Man
könnte meinen, ich würde ihn zwingen, den Sculhof zu säubern und dann das ganze
Schulgebäude.
"Ok, dann lass uns Deutsch
angucken. Hast du die Hausaufgabe schon angefangen?"
"Was war Hausaufgabe?"
Ich verbringe noch eine Weile bei
Abdul. Wir klären, was die Kiddies aufbekommen haben, bis wann sie es machen
müssen und wie er es doch noch schafft, die praktische Aufgabe gut
hinzubekommen. Es ist echt anstrengend. Es ist schlimmer, als momentan bei der
Dunkelheit und Kälte aufzustehen.
Schadet ihm nicht.
AntwortenLöschenLG Jürgen
Er weiß es bloß noch nicht, dass Schule NICHT schadet.
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