Mittwoch, 14. Dezember 2011

Mutterliebe


"Das größte Geschenk, das mir meine Mutter gegeben hat, ist ihre bedingungslose Liebe zu mir."
Cindy Crawford

Mittwoch ist ein guter Tag. Ich habe zur vierten Stunde an. Um 14.05 Uhr sind es nur noch zwei Tage bis zum Wochenende. Ich unterrichte eine Doppelstunde in einer 10ten Klasse. Serientag auf Pro7. Herrlich. Nur nicht heute.


Um 09.00 Uhr steige ich aus dem Bus. Dejan steigt ein. Zum Glück sieht er mich nicht. Tausende Fragezeichen in meinem Kopf. Arzttermin? Kann nicht sein, ich weiß nichts davon. Bauchkopfschmerzenmiristsoschlechtichmussjetztsofortnachhause? Er ist nicht der Typ dafür. Es kann nur eins sein. Er hat Scheiße gebaut. Überraschung. Ich komme in die Schule und gehe ins Sekretariat, um zu fragen was passiert ist. Davor sitzt Justin. Überraschung Nr. 2. Ich habe noch nicht mal mit dem Unterricht angefangen. „Guten morgen, Justin.“ Er würdigt mich keines Blickes. Trauer, wie soll ich jetzt bitte den Tag überstehen?? Im Sekretariat Hektik und Aufregung. Dejans Mutter, die man meiden sollte, war gerade da. Unterricht gestürmt, Lehrerin beleidigt, 3 Minuten ohne Pause geschrien. Ihr Sohn doch nicht, immer er, was soll das? Und überhaupt: „Wer bist du? Bist du neu (zu Lehrerin)? Ich kenn dich nicht. Ich ruf gleich Schulamt, Rechtsanwalt und so. Ihr kümmert euch nicht um meinen Sohn! Ich sage: Rede mit ihm, er soll nicht zu spät Schule. Und er wieder zu spät. Er kriegt Ärger! Die Klasse aber alle laut. Du Arschloch! Weißt du? In Bosnien. Mein Sohn. Er wär Präsident. Von Schule.“ Bitte? Ich kümmere mich nicht??? Ich soll darauf achten, dass er pünktlich aus dem Haus geht? Ich rede jeden zweiten Tag mit ihm. Meine kostbaren Pausen. Wie war die Woche? Nächste Woche muss besser werden. Ich höre mir das alles an. Ich bin entsetzt. So etwas wie Mitleid kommt in mir hoch. Für den Jungen. Frau MeinSohnhatnichtsgemachtdiesollmanmeiden scheint noch im Gebäude zu sein. Ich will jetzt auf keinen Fall von ihr angeschrien werden. Mein Kopf dröhnt. Ich habe noch nicht mal mit dem Unterricht angefangen. Aber Licht am Horizont. Heute 2 weniger zum Stören. Kurz aufatmen. Morgen früh sind sie wieder da.


Auf in den Kampf. Berufskunde. Tatsächlich etwas ruhiger. Plötzlich steht Bekir auf.
„Setz dich hin!“ - „Mrs. Joooohnson, ich habe doch nur eine Frage!“„Beende zuerst die Aufgabe, dann kannst du fragen.“ - „Ich schwör, ist wichtig.“ „Ok, frag.“ Er steht immer noch. -„Ich will Rewe Praktikum machen. Aber ich habe noch nicht gespricht mit Chef. Kann ich?“ Du hast noch nicht was?? Deine Bewerbung wird doch wohl hoffentlich jemand korrigieren, bevor du sie einreichst??!! Ok, ich muss es machen. Vormerken. „Naja, schreib eine Bewerbung und Rewe muss entscheiden, ob sie dich nehmen. -“Escht? Aber ich habe Problem. Ich hab dort Hausverbot, hab Scheiße gebaut undso.“ Dann ist es eine sehr sinnvolle Frage, Bekir. Und unheimlich wichtig. Ich glaube, er will sich unterhalten. Hauptsache der Aufgabe nicht nachgehen. Oder Hauptsache jemand hört mal zu. Er findet sich witzig. Wie immer. HA HA HA. „Dann könnte es schwierig werden. Frage beantwortet? Jetzt kannst ja endlich die Aufgabe bearbeiten.“ Ich entferne mich von seinem Platz. Es gibt weitere 23 Schüler, die betreut werden müssen. Er läuft mir nach. - „Krieg isch Problem, wenn isch mir Hitlerbärtchen aufmale?“ Booooahhh, das darf doch nicht wahr sein. - „Aber isch erzähl dann allen, ist Bart von Charlie Chaplin. Dann gehe ich Rewe und sage: (hebt seinen rechten Arm) rrrrraus von Superrrrmarrrkt!“ Wie soll dieses Kind jemals den Abschluss schaffen und einen Ausbildungsplatz bekommen? Von mir aus bei Rewe. Ich will nach Hause. Noch drei Stunden.
- „Ey, Mrs. Johnson,“ Ich hasse meinen Namen, wenn der Schultag beendet ist. Nachmittags kann ich ihn nicht hören. Und lass doch endlich mal das „ey“ weg! „Kriege ich Geld bei Praktikum?“ “Normalerweise nicht.“ -„Cüs, voll unfair. Mein Cousin hat auch Geld bekommen, als er bei meinem Vater im Laden gearbeitet hat.“ Na dann...
Diese Stunde ist noch längst nicht vorbei. Zu früh gefreut. - „Mrs. Joooohnson, sie hat meine Stifte weggenommen! Sagen Sie ihr was! Ey, du Behinderte, gib meine Stifte wieder her!“ Diesmal ist es Lukas. Er schreit durch die ganze Klasse. „Leider kann ich dir nicht helfen. Könnt ihr das nicht unter euch klären?!“ Er ist beleidigt und läuft rot an. - „Sie heulen doch auch, wenn Ihnen jemand was abzieht von Ihren Sachen und Tisch!!“ Ja genau... Passiert mir jeden Tag. Wer nicht dabei war, glaubts nischt. So!

3 Kommentare:

  1. Super! Toll geschrieben! Wo versteckt man die Nerven, wenn man solche Fragen beantworten muss? Ist es die höhere Kunst?

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  2. Die höchste Kunst. Manchmal bin ich stolz auf mich. Immer öfter.

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  3. Schwerer, aber auf jeden Fall furchtbarer Job! Verliere die Hoffnung auf keinen Fall!

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