Montag, 7. Juli 2014

Müssen wir?

"Wohin du auch gehst, geh mit deinem ganzen Herzen."
Konfuzius

Wenn Schüler einen umarmen.
Wenn ich zu Nafisa sage: "Pass auf dich auf." Und sie antwortet: "Ich komm schon klar, passen Sie auf sich auf."
Wenn man sie alle zum Abschluss gebracht hat.
Wenn man an die Gespräche und die witzigsten Sprüche überhaupt denkt.
Wenn Abdul sagt: "Danke für Alles. Wenn die neuen Schüler nicht nett zu Ihnen sind. Sie haben ja meine Nummer!"
Wenn die Eltern einem sagen, wie dankbar sie sind.
Wenn Önder aufs Gymnasium kann.
Wenn
Wenn Geschenke kommen. Total durchdacht und vom Herzen.
Wenn Mandy sagt: "Viel Erfolg! Hoffentlich finden Sie eine nette Schule!"
Wenn Mirko sagt: "Ich werde Sie vermissen. Alles Gute."
Wenn Can total schüchtern da steht, zu Boden guckt und ganz leise fragt: "Wie verabschieden wir uns denn jetzt? Müssen wir?"
Wenn einem die Tränen kommen.
Wenn Isabel sagt: "Oh nein, weinen Sie nicht. Sie sind so süß."
Wenn man realisiert, was man da geschaffen hat.
Wenn aus den nervigsten, anstrengendsten und schwierigsten Schülern Menschen werden. Tolle Menschen.

Dann weiß man, dass jeder Kampf sich gelohnt hat.
Dann weiß man, dass man etwas richtig gemacht hat.

Montag, 23. Juni 2014

"Nix."

"Wenn du Liebe hast, spielt es keine Rolle, ob du Kathedralen baust oder in der Küche Kartoffeln schälst."
Dante Alighieri


Parthena ist ein sehr aufgewecktes Mädchen, sie lacht viel. Sie gibt die ordentlichsten Aufgaben ab, gestaltet mit vielen Farben. Sie ist hilfsbereit, pünktlich, absolut zuverlässig und ein bisschen durchgeknallt. Positiv durchgeknallt. Eigentlich die perfekte Arbeitnehmerin. Nur nicht in den letzten Wochen. Da tut sich was, in Parthenas Kopf. Die Lustlosigkeit nimmt zu, die Hausaufgaben ab und Lächeln mag sie auch nicht wirklich.

Seit zwei Wochen führen wir immer dasselbe Gespräch.
"Parthi, was ist los?"
"Nix."
"Ist etwas passiert."
"Nein."
"Sicher?"
"Jaaa, wie oft wollen Sie mich das noch fragen?"

"Parthi, ich mache mir nur Sorgen um dich."
"Ja und?"
"Wenn es ein Problem gibt, dann versuche ich dir zu helfen."
"Es gibt kein Problem. Lassen Sie mich einfach."
Wie gesagt, seit zwei Wochen. Immer dasselbe und kein bisschen Erfolg. Bis heute.

Es klingelt. Alle Schüler stürmen raus. Nur Parthi nicht. 
"Na?"
"Na?" antwortet sie lustlos.
"Frau Feynberg, können Sie nicht hier bleiben? Bei uns?"
"Ich würde gerne, dass wisst ihr ja. Aber es hat leider nicht geklappt..."
"Scheiße! So eine Scheiße!" ruft sie. Und ich erkenne ihr Temperament wieder.
"Parthi..."
"Ich bin so traurig, dass Sie gehen..."

Worte können allerhand beschreiben. Aber nicht das, was ich nach diesen Worten verspürt habe.

Dienstag, 17. Juni 2014

Heute ohne Zitat.

Menschen sind gemein. Und unpädagogisch. Muss man mehr Glück als Verstand im Leben haben? Beziehungen? Gutes Aussehen? Was muss man haben, um eine Chance zu bekommen? Braucht man nur Beziehungen? Ist es alles nur Zufall?
Bewerbungen schreiben macht keinen Spaß. Stundenlang. Wort für Wort. Komma für Komma. Das Wort an die Stelle oder lieber doch an den Anfang? Ein Bildchen? Welche Schrift? Etwas fett gedruckt oder doch lieber kursiv? Irgendwann sieht man nur noch Buchstaben, nur noch Satzzeichen. Irgendwann zweifelt man an der Schärfe der Brille und am eigenen Versand. Aber man schärft seinen Blick ein weiteres Mal, strengt die Gehirnzellen an. Vielleicht klappt es ja diesmal. Die Zeit rennt. Das Jobcenter naht. Jobcenter? Ich? Niemals! Diesmal muss es klappen. Die Stelle war wie für mich gemacht. Bewerbungsfrist schon längst vorbei. Da stimmt doch was nicht. Was sage ich gleich am Telefon, welche Worte sollte ich wählen? Ich lege mir Sätze zurecht und spreche doch andere aus. Mein Herz hämmert.
Wie heißen Sie? Hmm.. sagt mir jetzt nichts, der Name, müsste ich nachgucken. Aber eigentlich sind wir schon gut besetzt für das nächste Schuljahr. Und der Bewerbungsprozess ist auch schon durch. Komisch, sage ich, es hat sich doch keiner bei mir gemeldet, ich habe doch alle Voraussetzungen für die Stelle erfüllt, aber mich hat keiner angerufen. Nur nicht verzweifelt klingen, Lea! Oder doch? Gibt es ein Richtig oder Falsch? 
Aber ja... hmm... ich melde mich bei Ihnen, sagt sie. Sehr freundlich. 
Ich fühle mich wie der letzte ungelernte Bauarbeiter und spüre die salzigen Tränen auf meinem Gesicht. 
Gleichzeitig fühle ich mich menschlich. Jedem Schüler eine Chance geben, jeden gleichwertig behandeln. So muss es sein, denke ich und bin mir sicher, dass es mir bisher ganz gut gelungen ist. Und schwöre mir, dass ich nie mit Schülern so umgehen werde, wie man gerade mit mir umgeht.
Eine E-Mail. Eine weitere Absage. Sehr interessante Bewerbung, die ich da geschrieben habe, steht da. Vielleicht sieht man sich ja eines Tages im Berufsleben und arbeitet miteinander. Nur nicht diesmal. Die Tränen nehmen kein Ende.

Freitag, 6. Juni 2014

Ist ein Dutt typisch Lehrer?

"Wenn es nur eine Wahrheit gäbe, könnte man nicht hundert Bilder über dasselbe Thema malen."
Pablo Picasso

Mrs. Smith und ich sitzen im Café. Nach unserem Arbeitstag. Absolut verdient.
Neben uns sitzt ein Mann. Und eine Frau. Sie unterhalten sich ziemlich angeregt. Das Thema muss äußerst spannend sein. Und weil wir heute schon so viel geredet haben, Mrs. Smith und ich, hören wir gerne zu. Sehr unauffällig natürlich. Das allerdings, nachdem wir die beiden Gestalten möglichst genau beobachtet haben.
Er ist so um die 50. Ganz strenger Blick, keine Mimik. Braune Cordhose, blauer V-Ausschnitt-Pulli, braune Wildlederschuhe. Und jetzt kommt es: gelbe Socken. Ah ja und eine Hornbrille, eine ziemlich moderne. Insgesamt ist der Typ ziemlich modern. Aber auch irgendwie abstrakt mit seinen farbenfrohen Socken. Sieht bisschen Picasso ähnlich. Nein, eher seinen Bildern. So eckig-abstrakt. Sein Gesicht hat nichts Weiches. Nichts. Die Frau neben ihm ist genau das Gegenteil. Aber auch um die 50. So stinknormal. Die Sekräterin von nebenan. Oder auch Postbeamtin. Im Kostümchen und mit Schirmchen. Auch sie lächelt kaum. Wie die beiden wohl zueinander gefunden haben... Interessant. Wir hören also zu.

"Lehrer. Die sind alle so typisch. Lehrer. Alle gleich."
Ich gucke an mir runter. Rosa Nikes, langer Rock, pinke Fingernägel, zwei Zöpfe, ein blauer und ein grüner Haargummi. Daneben Mrs. Smith. Absatzpumps. Schwarze Hose. Offene Haare. Bunter Nagellack. Zwanzig Jahre zwischen uns. Ich mit Brille, sie ohne. Sind wir beide so typisch? Typisch Lehrer? Weder sie noch ich haben einen Dutt. Ist ein Dutt typisch Lehrer?
Die gelbe Socke fährt fort: "Mit Lehrern würde ich gar nicht klar kommen, die sind so anstrengend. Die haben immer Recht! Versuch mal mit denen zu diskutieren. Geht G.A.R.  N.I.C.H.T."
Schirmchen nickt. Und hört aufmerksam zu. Oder tut so als ob.
"An Lehrer würde ich N.I.E.M.A.L.S vermieten. N.I.E.M.A.L.S. Die hocken doch sowieso den halben Tag zu Hause und suchen nach Fehlern in der Wohnung."
Das ist ja spannender als wir gedacht hatten! Ob wir immer Recht haben, ob wir immer alles besser wissen. Den halben Tag zu Hause sitzen, trifft schon mal nicht zu. Was sind denn das für altbackene Vorurteile?! Ich hätte mich vorstellen sollen: "Hallo, Herr gelbe Socke, wir spielen jetzt ein Spiel. Erraten Sie doch meinen Beruf." Wird bestimmt ganz einfach, der Herr erkennt sicherlicher jeden Lehrer auf diesem Planeten S.O.F.O.R.T.
Wir hören noch ein Weile zu und überlegen dann, ob wir gleich im Café oder erst zu Hause kotzen möchten. Wir entscheiden uns für die vertrauten vier Wände. Da kotzt es sich irgendwie angenehmer. Und bewegen uns wieder Richtung Schule. 
Im Lehrerzimmer wird die gelbe Socke bestätigt. "Klar", sagen die Kollegen, "Lehrer sind gaaaanz unbeliebte Mieter. Sogar noch vor Juristen. Wusstest du das nicht?" Nein, noch nie gehört.
Am Abend sagt mein Mann: "Wegen dir kriegen wir also keine Wohnung in Hamburg?" Wenigstens grinst er dabei. Eine gewisse Mimik im Gesicht wirkt wirklich sehr beruhigend auf mich.

Samstag, 31. Mai 2014

Hätten Sie doch Physik und Musik studiert!

"Die Wertschätzung von Köln für den Dom zeigt sich daran, dass sie ihn mit etwas weniger bezuschusst, als der Karnevalszug erhält."
Bernhard Heinrichs


Es ist noch früh, aber ich kann nicht schlafen. Zu viel ist gerade los. In meinem Kopf und in meinem Leben. Jetzt ist es endlich soweit, ich muss schreiben. Ich muss Dinge loswerden, die nicht gehen. Dinge, die soweit vom Pädagogischen entfernt sind, wie Canberra von Berlin. Jedoch Dinge, die sich mitten in der Pädagogik abspielen. 
Ich gehe weg aus Berlin. Nicht freiwillig, aber doch gerne. "Wie soll ich Sie bloß ersetzen?" fragte mein Schulleiter. "Sie können doch nicht gehen! Wieso machen Sie so? Ich besorge Ihre Mann Arbeit in Berlin!" sagten die Schüler.
In Berlin gab es für meinen Mann keinen Job und für mich gab es keine Möglichkeit, in seinem Heimatbundesland zu arbeiten. Es warum zum Verzweifeln. Für Ehepartner in einer Stadt zusammenziehen, das ist noch schwieriger, als "Ja" zu sagen. So viele Hürden. Wir suchten eine dritte Stadt, in der wir beide eine Arbeit finden könnten.
Es geht nach Hamburg. Eine Großstadt. Mit vielen problematischen Schülern. Mit Bedarf für Lehrer. Dachte ich. 
"Ich habe einen Job." verkündete mein Mann freudestrahlend.  Es war am Telefon, trotzdem konnte ich die Freude und das Strahlen durch den Hörer fühlen. Endlich, dachte ich. Endlich werden wir jeden Tag nebeneinander aufwachen. Nicht nur am Wochenende. Ohne hunderten von Kilometern zwischen uns. Hamburg, dachte ich, das ist eine Stadt, in der ich auf jeden Fall einen Job finden werde. "Schatz, ich unterschreibe dann? Du bist sicher, dass du einen Job in Hamburg finden wirst?"
"Klar," sagte ich. Kurze Antwort aus voller Überzeugung. Ich dachte, ich bin eine gute Lehrerin, ich liebe und lebe meinen Job. Ich bin engagiert, immer mit dem Herzen dabei, jung, habe viele tolle Ideen. Ich arbeite mich in fremde Fächer ein, ich habe einen gewissen Anspruch an meinen Unterricht und an die pädagogische Arbeit, die in unserem Alltag fast wichtiger ist als Synapsen, Kriege und Kurvendiskussionen. Ich arbeite gerne mit schwierigen Jugendlichen, ich kann etwas bewegen. Ich dachte, wenn man mit problematischen Jungen und Mädchen arbeitet, dann ist es egal, welche Fächer man vorweisen kann.
Ich dachte eindeutig zu viel, ich habe nämlich einen Fehler gemacht. Ich habe nach meinem Interesse, nicht nach den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes studiert. Kein Hauptfach, Fächer, die jeder unterrichten kann. 
Die Jobsuche, die ist hart und unmenschlich. Arrogante Schulleiter, die mir sagen: "Hätten Sie doch Physik und Musik studiert!" Oder: "Tja, wird schwierig, mit Ihren Fächern in den Dienst zu kommen. Wenn Sie dann drin sind, dann ist es vollkommen egal, welche Fächer Sie unterrichten." Ah so, na dann. Oder aber: "Wir wissen, dass wir eine gute Schule sind, wir brauchen keine Lehrer mit solch einer Fächerkombinaton!" Ja, aber braucht eine gute Schule nicht auch gute Lehrer? Keine Chance. Kein Vorstellungsgespräch. Nur Absagen. Standartabsagen. Wir haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht... blabla... viele qualifizerte Bewerbungen... blabla... das Übliche. Verdammt, will ich schreien, machen Sie sich doch ein Bild von mir! Laden Sie mich doch wenigstens zum Gespräch ein! Dann können Sie immer noch absagen. Nein. Kein Gespräch. Ich fühle mich wie ein Mensch zweiter Klasse. Unfair ist es. Ein Mathe- und Physiklehrer kann der schlechteste Pädagoge dieser Welt sein. Das interessiert keinen. Er wird sofort angestellt, Schulen werden sich um ihn streiten. Schließlich hat er zwei Bedarfsfächer studiert. Schließlich ist er ein vollwertiger Mensch.

Wen es hier interessiert, wie es meinen Schülern geht, es geht ihnen gut. Jeder von ihnen macht dieses Jahr seinen Abschluss. Jeder hat es geschafft. Manche nur den Hauptschulabschluss, manche auch den Realschulabschluss. Viele haben einen Ausbildungsvertrag. Auch ist jemand dabei, der auf die gymnasiale Oberstufe wechselt und das Abitur macht. Alles Schüler, an die vorher kein Mensch geglaubt hat. Ich schon. Vielleicht glaubt auch jemand in naher Zukunft an mich. Schön wäre es.

Montag, 24. März 2014

Schöne Signalfarben bitte

"Es sieht ein Ei dem anderen gleich."
Sprichwort

Zwillinge in eine Klasse zu stecken, ist so so so gemein. Besonders wenn es absolut eineiige Zwillinge sind. Aber sowas von eineiig, eineiiger geht's gar nicht. Für den Lehrer ist es gemein. Das sind ja trotz äußerlicher Gleichheit zwei komplett verschiedene Menschen, die man auch unterschiedlich bewerten sollte. Es sei denn, ihre Leistungen sind gleich. Aber das sind sie selten. 

Milan und Damian unterscheiden sich auch in ihren Leistungen. Ansonsten unterscheiden sie sich nicht großartig. Sie sehen gleich, gleicher, am gleichesten aus. Alles ist gleich. Frisuren, Klamotten, Gang, Statur und sogar ihre Federmäppchen. Können die Eltern ihnen nicht wenigstens verschiedene Stifte kaufen? Den einen Füller in neongelb und den anderen in pink. Schöne Signalfarben bitte, damit ich die auch aus entfernter Ferne erkennen kann. Es ist gemein! Besonders wenn man die Klasse nur eine Stunde die Woche unterrichtet und die beiden viel zu selten zu Gesicht bekommt, um sich auch nur einen einzigen winzigen Unterschied zu merken, den man zur Erkennung benutzen könnte.
"Guuuten Morgen, Frau Feynberg!"
"Guten Morgen .. ähm .."
"Na, wie heiß ich?"Auch bei absoluter Ahnungslosigkeit muss man total sicher wirken. Also antworte ich absolut selbstsicher: "Damian, natürlich."
"Maaaan, Frau Feynberg, Sie kennen mich schon sooo lange. Ich bin Milan." Mist.
"Guten Morgen, Milan."
"Nein man, Spaaß. Damian war richtig."
"Siehst du, sage ich es doch! Natürlich kann ich euch unterscheiden." Wenn ich denn richtig geraten habe, füge ich in Gedanken hinzu.
"Aaaallee Frau Feynberg, wieso können Sie das nicht? Die sind so krass verschieden, das ist voll unter der Würde, Fau Feynberg!"ermahnt mich Önder.
"Ey Önder, du Spasst, hörst du mit dem Arsch zu? Frau Feynberg kann die doch unterscheiden!" ergrefit Nafisa die Partei für mich.

Ich konnte die beiden auch mal unterscheiden. Milan hatte nämlich eine Zahnspange. Und Damian nicht. Bis zu diesem einen Tag, als ich in die Klasse reinkam und zuerst zu Milan und dann zu Damian blickte. Und dann von Damian zu Milan. Und wieder von Milan zu Damian. Und so ungefähr zwanzigmal. Irgendwas war anders. Die Zwillinge standen grinsend vor mir. Damian schrie: "Üüüberraschuuung, Frau Feynberg. Ich hab jetzt auch eine Zahnspange. Jetzt haben Sie ein Problem, wa?"

Meine Erinnerung wird ausgebremst, als ich sehe, dass Damian und Milan sich anschreien und kurz davor sind, handgreiflich zu werden. Zwillinge sein bedeutet nicht automatisch, sich 24 Stunden am Tag zu lieben.
"Ey Junge, lass ma mein Buch in Ruhe. Du hast selba eins. Ich zieh dir eine!"
Neben mir höre ich die leise Stimme von Isabel: "Hä? Wie sieht es denn aus, 'ich zieh dir Eine?' Verstehe ich nicht." Ich verstehe den Sinn dieser Aussage nicht, aber ich habe auch keine Zeit dazu. Ich eile zu den beiden und verweise sie auf ihre Plätze.
Noch im Laufen dreht sich Damian zu Milan um und sagt: "Du bist so hässlich, Junge!"

Mittwoch, 19. März 2014

Kinder können sich doch gar nicht wehren

Wer den Flüssen wehren will, muß die Quellen verstopfen.
Sprichwort

David ist ein ganz ruhiger Schüler. Zu ruhig. Ziemlich schüchtern. Wenn man ihn anspricht, zuckt er zusammen. Man weiß nicht viel von ihm. Er lächelt kaum. Trotzdem: alles ist immer okay. David geht's immer gut, wenn man ihn fragt. Seinen Leistungen weniger. 
Wir sprechen über ein Thema, über das wir sehr oft sprechen. Gewalt. Wieder mal. Man kann gar nicht genug über dieses Thema sprechen. Und einmal die Woche die Jugendarrestanstalt oder das Jugendgefängnis besuchen, um Präventionsarbeit zu leisten. Überall Gewalt. Körperliche, seelische, in der Familie, auf der Straße, in den Medien. David schweigt die ganze Stunde. Alle anderen haben eine Menge zu dem Thema zu sagen. In erster Linie geht es um die Computerspiele. Aber auch sonst haben die Jugendlichen viele Gewaltgeschichten auf Lager. Viel zu viele. Mein Kopf wird schon nach wenigen Minuten quadratisch. Mein Erstaunen, was diese Jugendlichen - in ihren jungen Jahren - alles erlebt haben, wächst. Und wächst. Obwohl ich dachte, schon vieles gewusst und vieles erlebt zu haben. Man weiß nicht, was David von dieser Stunde mitbekommt. Er starrt mal aus dem Fenster. Mal auf seinen Tisch. Mal einfach vor sich hin. Doch dann wacht er auf. Es geht um einen Vater, der sein Kind ohrfeigt. Gewalt oder nicht Gewalt? Die Meinungen sind gespalten. Die Mehrheit der Klasse sagt, ist doch alles nicht so schlimm. Mal eine Ohrfeige. Muss sein, wenn man seine Kinder vernünftig erziehen möchte. Einige wenige -wirklich wenige- meinen, egal was kommt, seine Kinder darf man nicht schlagen. Und dann sagt David etwas. "Kinder können sich doch gar nicht wehren. Ohrfeigen sind auch Schläge und ich hasse Schläge. Schläge sind immer Gewalt. Und ich hasse Alkohol." Es sind vier kurze Sätze, die David da von sich gibt. Diese Sätze sind aber so lang und so dunkel. Diese Sätze verraten so viel. Sie schreien nach Sonne, nach Licht. Plötzlich kann ich hinter die Fassade des schüchternen Jungen blicken. Plötzlich denke ich, so viel zu wissen. Und ich frage mich, wie viele Geschichten es noch gibt, die wir nicht mal annähernd kennen. Und wie viele Gewaltkarrieren man eigentlich verhindern könnte.

Montag, 17. März 2014

Und 14 Nächte

"Es ist nicht zu wenig Zeit, die wir haben, sondern es ist zu viel Zeit, die wir nicht nutzen."
 Lucius Annaeus Seneca

In zwei Wochen ist die Präsentationsprüfung. Schüler bereiten sich ein halbes Jahr auf die Prüfung vor, kommen am Prüfungstag in die Schule, halten ihre Präsentation, wir stellen Fragen. Fertig. Eigentlich bereiten sich die Jugendlichen sogar länger, als ein halbes Jahr, auf die Prüfung vor. Die Termine werden nämlich bereits zu Anfang des 10. Schuljahres veröffentlicht. Im Normalfall. Bei meinen Schülern sieht der Normalfall anderes aus. Man bereitet sich für die Pürfung eine Nacht vorher vor. Im besten Fall, eine Woche vorher.

"Das ist ja der letzte Beratungstermin vor der Prüfung. Dann zeigt mal, was ihr bisher gemacht habt."
"Hä? Wie gemacht? Hatten wir Hausaufgaben?" Betül, Nafisa und Timm gucken mich an, als würde ich von ihnen die Erklärung der Relativitätstheorie verlangen.
"Beim letzten Beratungstermin gab es auch für euch Aufgaben, die ihr bis heute erfüllen solltet."
"Ah so... ich wusste nich, dass bis heute. Ich schwör, ich wusste nich.. Krieg ich jetzt 6?"
"Nein Nafisa, jetzt nicht. Aber höchstwahrscheinlich in der Prüfung. Habt ihr denn schon irgendetwas für die Prüfung vorbereitet?"
"Natürlich haben wir." antwortet Timm total selbstsicher. "Ich habe mich schon über dieses Land informiert, wo es Kindersoldaten gibt. Wie heißt das noch mal?"
"Super, hast du dich informiert, wenn du nicht mal weißt, wie das Land heißt. In eurer Prüfung soll es um Somalia gehen."
"Ah stimmt."
"Wie heißt denn die Hauptstadt von Somalia? Wenn ihr euch sooo ausführlich bisher mit dem Thema beschäftigt habt, dann müsst ihr das im Schlaf können."
"Hmmm..." Nafisa scheint nachzudenken. "Afrika?"
"Neeein, Afrika ist der Kontinent auf dem Somalia sich befindet. Ich frage nach der Hauptstadt!?"
"Ah ich weiß! Kongo oder so?"
"NEIN! Leute ist es euer Ernst?? Die Prüfung ist in zwei Wochen und ihr kennt noch nicht mal die Hauptstadt des Landes, über das ihr referieren wollt??"
"Jaaa. Hauptstadt... Wer braucht Hauptstadt? Hauptsache ist doch, wir wissen, wie die Kinder Soldaten werden oder nicht?"
"Natürlich ist es wichtig... Aber ihr habt euch doch nicht umsonst für ein bestimmtes Land entschieden. Es geht darum, aus welchen Gründen die Kinder gerade in diesem Land in den Krieg ziehen müssen! Und in so einem Fall gehört das Kennen der Hauptstadt auf jeden Fall dazu."
"Machen Sie sich ma keine Sorgen. Ich hab schon mal Referat gemacht über Frauen in Indien. Ich nehme dem einfach für die Präsentationsprüfung!"
"Nafisa, Kindersoldaten in Somalia sind auch dein Thema! Da geht es nicht mal annähernd um Frauen in Indien! Du kennst das Thema bereits seit fast einem halben Jahr!"
Timm unterstützt mich. "Mädchen, geh sterben! Was für Frauen in Indien?"
"Timm! Danke für die Unterstützung, aber so sollte sie nicht aussehen!"
 
"Cüs, schreien Sie ma nich so..." Tatsächlich... ich habe geschrien.. Dann bin ich wohl wirklich sauer.
"Betül! Es sind nur noch 14 Tage bis zur Prüfung!"
"Und 14 Nächte. Voolll vieeel Zeit. Wie die Lehrer immer übertreiben. Soll ich mich jetzt niederknien, damit Sie sich beruhigen oda was?"
"Ist nett von dir, aber nein, du musst dich nicht niederknien. Nehmt euren Block und Stifte raus. Ihr werdet jetzt einiges mitschreiben müssen."
"Block und Stifte? Aber Sie haben gar nicht... " Timm traut sich nicht, den Satz zu vollenden. 
"Timm!"
"Ey, Frau Feynberg, beruhigen Sie sich mal. Sie brauchen bisschen Wodka!"
"Ich trinke keinen Alkohol. Was ich brauche, sind fleißige Schüler."
"Hä? Wie? Kein Wodka?"
"Nein. Nichts."
"Aber Sie kommen doch aus Russland?!"

Freitag, 14. März 2014

So krass bombe

"Um Erfolg zu haben, muß man aussehen, als habe man Erfolg."
Valentin Polcuch

"Schiebt bitte die Tische zusammen, damit wir uns alle hinsetzen können." Ich mag es nicht, vorne zu stehen. Als Oberlehrerin. Im Kreis unterhält und lernt es sich viel besser. Ich muss nicht stehen, um den Kiddies etwas beizubringen. Geht auch im Sitzen. Sitzen. Endlich. Warum habe ich mich heute morgen auch für die hohen Absätze entschieden? Schön doof. Schule darf man eigentlich nur in Turnschuhen betreten. Besonders wenn man sieben Stunden am Stück hat. 

"Uuuuuh Frau Feynberg. Absätze? Was ist mit den Ihre Nikes los? Verkaft bei Ebay?"
"Cüüüs, Junge. Weißt du, wie viele Nikes die hat? Als hätt Frau Feynberg die alle bei Ebay verkauft. Kein Plan hast du, Knecht du Elender." Önder muss einfach immer das letzte Wort haben und fährt fort. "Haben Sie vielleicht Date? Ah nein. Sie sind ja jetzt verheiratet. Leben vorbei, wa?"
"Eigentlich nicht. Alles gut bei mir. Aber danke Önder, dass du dir um mich Sorgen machst. Wirklich sehr lieb. Könnt ihr jetzt bitte die Tische zusammenschieben? Jetzt wirklich!"
"Ist Ihr Mann auch Russe? Wie heißt er? Oleg, Igor, Evegnij?"
Gülcan kommt auf mich zu. "Falsche Richtung Gülcan. Die Tische stehen jetzt hinter dir. Da kann etwas nicht stimmen."
"Ich wollt Sie nur sagen Frau Feynberg, Sie haben tooooodesabgenommen! Was geht Frau Feynberg, Liebe und so? Ich hab bei Galileo gesehen, wegen Liebe nimmt man tooodes ab. Beste Diät."
Gülcans Blick wandert an mir hoch und runter. Ich fühle mich etwas beobachtet. So ziemlich beobachtet.
Mandy weiß es besser. "Was Liebe? Ich sag dir, nur Sport. Einzigste, was hilft. Ey Frau Feynberg, Sie können bald bei diese Models-Sendung mitmachen. Dann brauchen Sie nicht mit uns ihr Geld verdienen. Wir sind schon oberanstrengend, oda?"
"Mandy, es gibt keine Steigerung von 'einzig'."
"Was?"
"Einzige. Es heißt einzige. Du bist gerade die einzige, die ihren Tisch nicht schiebt."
"Aaalleee, wie Sie übertreiben! Ich wette, Sie gehen zu Fuß immer zu Ihre Familie. Welche Stadt wohnen Sie noch mal?"
"Weit weg. Die Tisch..."

"Sag ich doch. Also. Laufen Sie nach weitweg? Kein Zug? Oder machen Sie diese Fahrrad bei Fitness?"
"Reicht jetzt Mädels! Können wir Unterricht machen?"

"Frau Feynberg, ich wollt Sie nicht beleidigen." Gülcan hebt beide Hände hoch. Als wäre sie komplett unschuldig.  
 "Aber Sie haben kraaaas abgenommen. Also, vorher, da sahen Sie auch Bombe aus. Aber jetzt. So krass Bombe. Frau Feynberg, sind Sie beleidigt?"

Montag, 10. März 2014

Hast du auch andere Themen?

"Ein Psychotherapeut ist ein Mann, der dem Vogel, den andere haben, das Sprechen beibringt."
Wolfgang Gruner

Hast du auch andere Themen? Wenn du dabei bist, sprechen wir nur über Schule! Andauernd regten sich meine Freundinnen auf. Ja, das Thema 'Schule'. Überall und immer. Das konnten irgendwann weder meine Familie noch meine Freunde hören. Egal wie lustig es war. Dabei hatte ich so viel zu erzählen. Schwänzer, Schlägereien, Beleidigungen, Respektlosigkeit, sich nicht kümmernde Eltern, Diskussionen, keine Angst vor irgendwelchen Sanktionen. Und ich mittendrin. Eine junge Lehrerin mit zwei Jahren Referendariatserfahrung. Hilfe, dachte ich. Und dann waren da noch die schönen Momente eines Lehrerberufs. Momente, die überwogen. Erfolgserlebnisse der Schüler, kleine Aufmerksamkeiten und Lob für mich, Geschichten der Jugendlichen, kooperierende Eltern, Dankbarkeit in den Augen der Schüler, Lachen und immer wieder das Gefühl,  den richtigen Job gewählt zu haben. Trotz allem.

Bis zu diesem Samstag Abend. Als wir unterwegs waren, um Spaß zu haben. Und ich wieder über Schule sprach. Weil mich die Erlebnisse so sehr beschäftigten. So geht's nicht weiter, Lea, sagten meine Mädels. Irgendwann gibt es auch einen Feierabend.  Auch bei dir. Es ist Samstag. Da arbeitet man nicht. Da denkt man auch nicht an Arbeit. Da genießt man das Leben. Schreib doch alles auf, sagten sie. Schreib ein Tagebuch, schreib Zeitungsberichte, schreib ein Buch. Schreib irgendwas, aber schreib. Und leb dein Leben.



Also habe ich angefangen zu schreiben. Buchstabe für Buchstabe. Wort für Wort. Geschichte für Geschichte. Und war so dankbar für diesen Samstag, für diesen Ratschlag. Schreiben. Das ist es.  Schreiben, um sich mitzuteilen. Schreiben, um die Menschen da draußen zu informieren. Menschen, die sich über die Müdigkeit der Lehrer lustig machen. Von einem Halbtagsjob könne man ja nicht müde werden. Auch die Menschen, die Reformen in die Wege leiten, um Geld zu sparen. Menschen, die zum letzten Mal in der Schule waren, als sie ihren eigenen Abschluss machten. Menschen, die Schicksäle in der Hand haben.

Informieren über diese Jugendlichen. Die viel zu schnell abgestempelt werden, viel zu selten eine Chance bekommen, und in viel zu schrecklichen Umständen aufwachsen. Auch ich war so ein Ausländerkind. Auch ich hätte so eine Jugendliche werden können. Und später genau so eine Erwachsene. Die als asozial beschimpft werden, Hartz IV kassieren und keinen Sinn in der Bildung sehen würde. Bei mir lief es aber anders. Bei mir lief es. Ich hatte Chancen. Viele Chancen. Ich hatte Liebe. Viel Liebe.

Ich habe also angefangen zu schreiben. Um Fragen zu stellen und Antworten zu vermuten. Um aufzuwecken. Um meinen Spaß mit anderen zu teilen.

Mittwoch, 5. März 2014

Mich abreagieren.

"Es ist immer schwer, etwas zu kritisieren, was man nicht kennt."
Thomas Bubendorfer


Mich stört etwas. Es stört mich ziemlich. Ziemlich sehr. Bei der ganzen Lehrer-Versager-Diskussion fehlt ein entscheidender Punkt. Die Politik, die Verwaltung. Wir, die Lehrer, haben die Entscheidungen, die da oben getroffen werden, auszuführen. Wir müssen mit allen Reformen leben. Wir sind ja Lehrer, ausgebildete Menschen, wir schaffen das schon. Wir schaffen alles. Wir müssen alles schaffen. Friss oder stirb. Hat sich irgendjemand die genauen Umstände angeschaut, unter denen wir arbeiten? Inklusion ohne Sonderpädagogen, nur mit uns, die kein Sonderpädagogik-Studium von mindestens acht Semestern hinter sich haben.  Reformen, die ohne Rücksicht auf Verluste durchgeführt werden. Nur mit Rücksicht auf Finanzen- möglichst viel sparen. Schwierigste Schüler mit grausamsten Familiengeschichten ohne Sozialpädagogen. Supervision für Lehrer weit und breit nicht zu sehen. Differenzierung ohne Geld für Kopien oder gescheite Bücher. Schulpsychologen, die alleine für sieben Schulen gleichzeitig verantwortlich sind. Also bitte, nicht immer auf die Lehrer! Es gibt genug andere Versager, die (mit) für das Desaster an deutschen Schulen verantwortlich sind! Bei uns, an einer Hauptschule, gibt es wahrscheinlich die fähigsten Lehrer überhaupt. Weil sie das alles aushalten und dabei noch ihren Optimismus behalten. Keiner will Lehrer werden und mit den schwierigsten der Schwierigsten arbeiten. Aber jeder fühlt sich berufen und qualifiziert dafür, Lehrer zu kritisieren.
Ich glaube, ich gehe jetzt eine Runde laufen. Mich abreagieren. Und danach korrigieren, Unterricht vorbereiten, Eltern anrufen. Ein Hoch auf unseren Halbtagsjob! Cheers.

Montag, 3. März 2014

Dinge, die so oft so wenig zählen.

"Einen Zyniker erkennt man daran, daß er von jedem Ding den Preis, aber von keinem den Wert kennt."
Oscar Wilde


Ich bin dieses Wochenende weit gefahren. Mit dem Zug. Eine Freundin von mir sagt, wenn du zu viele Komplexe hast und an dir zweifelst, fahr Bahn und guck dich um. Dann hast du plötzlich keine mehr.
Ich sitze also in diesem Zug. Die Fahrkarte war teuer. Ziemlich teuer. Mist, denke ich, Trinken! Ich habe vergessen, etwas zum Trinken mitzunehmen. Also spaziere ich zum Bistrowagen und gucke mir die Getränkekarte an. Wieder ziemlich teuer. Aber meinen Durst interessieren die Preise nicht. Also stelle ich mich an. Vor mir steht eine Frau, die nur Englisch spricht. Im Gegensatz zur Bahnmitarbeiterin. Die spricht nur Deutsch. Jedenfalls möchte die Frau auch etwas zum Trinken kaufen. Von den ca. 3 EUR für ein Getränk, möchte sie aber einen Euro in 10 cent Stücken zahlen. Da versteht die Bahnmitarbeiterin keinen Spaß. Sie wäre doch keine Tschänging-Maschine. Oder Benkautomet. Hmm, denke ich. Bin ich doof oder sieht die Mitarbeiterin da etwas anderes als ich? Ich sehe nämlich ein 2-Euro-Stück und zehn 10-Cent-Münzen. Geld halt. Geld ist Geld. Man könnte meinen, da würden 3 Euro in 5-Cent-Münzen liegen. Aber selbst wenn. Auch hier ist Geld Geld. NO, das smol Geld nehme sie nicht. Sie wäre ja keine Tschänging-Maschine. Ich gucke mich um. Und kann nirgendwo ein Schild entdecken, auf dem möglicherweise die Münzen stehen könnten, die man hier annimmt. Weit und breit kein Hinweis. You want trinken or no trinken? Trinken? Money big! Die Dame vor mir ist leicht verzweifelt. Sie scheint, echt Durst zu haben. Aber zu viele Münzen. Kein Erbarmen. Die Frau muss weg. Mit ihren Münzen. Ohne Trinken. 

Letzte Woche war ich bei einem Amt. Einem sehr wichtigen. Mit lauter wichtigen Stempeln und vielen Türschildern, die auf lauter wichtige Menschen verweisen. Ich war zum dritten Mal da. Weil man mir die beiden Male davor, eine falsche Information mitgeteilt hatte. Ans Telefon geht den ganzen Tag keiner, also muss ich persönlich hin. Zum dritten Mal. Ich brauche unbedingt so ein wichtiges Papier. Ein bestimmtes. Gibt es nur in diesem Amt. Ich drehe also alles so hin, dass ich später zur Schule kommen kann und stehe um 8:25 Uhr vor der Tür, die ich benötige. Ich muss unbedigt die Erste heute sein. Sonst haut es in der Schule mit dem Vertretungsplan nicht hin. Um 8:28 Uhr guckt ein Mitarbeiter  aus der Tür und guckt mich verwundert an. Die Sprechstunde würde erst um 8:30 Uhr beginnen, ich solle doch noch einmal Platz nehmen. Nein, erkläre ich dem Herren. Geht nicht. Bei meinem dritten Besuch muss ich nämlich das Papier bekommen. Jetzt wirklich. Ich muss die Erste sein. Der Herr zuckt mit den Schultern. Nach weiteren 30 Minuten und zahlreichen wichtigen Menschen in lauter wichtigen Zimmern, sitze ich vor dem allerwichtigsten Menschen. Der zuckt eine Akte. Frau Wirbelwind? Neeein, Frau Feynberg bin ich! Oh. Eine falsche Akte, die er da in der Hand hält. Er bräuchte noch einmal meinen Personalausweis. Personalausweis? Aber den habe ich doch vorne abgegeben. Ah so, ja. Nach 45 Minuten und einem kleinen Nervenzusammenbruch verlasse ich das Amt. Endlich halte ich das Papier in der Hand. Die Verwaltungsgebühr muss ich natürlich trotzdem zahlen. Trotz der 100.000 Fehler, die alle möglichen wichtigen Menschen in diesem wichtigen Amt da gemacht haben.

Am Dienstag war ich bei einer Lesung. Einer sehr interessanten. Von einer sehr süßen und begabten Autorin. Neben mir saß ein Mann, der während der Lesung Quizduell auf seinem Handy gespielt hat. Alle fünf Minuten guckte er hoch und lächelte. Durchaus interessiert. Hä, denke ich, Typ, kannst du nicht zu Hause Quizduell spielen? Das wäre billiger für dich. Den Eintritt für die Lesung müsstest du dann nämlich nicht zahlen.

Und die Moral von der Geschicht': Kein Wunder, dass meine Schüler mir kein Wort glauben. Frau Feynberg ist nur Lehrerin. Sie hat kein Plan vom Leben, jaaa. Ich guckte mich also letzte Woche um. Mehr als mir lieb ist. Und merkte: ich habe wirklich keinen Plan vom Leben. Ich verlange nämlich von meinen Schülern Höflichkeit, Zuverlässigkeit, Pünktlich, Respekt und all die anderen schrecklichen Dinge, die so oft so wenig zählen.
Es ist die Welt da draußen, die mir Sorgen bereitet. Da gibt es zu viele Menschen, die respektlos, unhöflich sind und die ihren Aufgaben nicht so nachgehen, wie sie das sollten. Der Schüler, dem ich das alles beigebracht habe, geht also raus, raus aus der behüteten Schule und merkt: Ups, es gibt genug andere, die unhöflich, respektlos und unfähig sind. Und die alle kommen irgendwie im Leben weiter. Diese Werte, die ich also mühevoll versucht habe, diesen Jugendlichen beizubringen, spielen also plötzlich keine Rolle mehr. Gar keine. Denn es geht ja auch ohne. Und einfacher ist es auch noch.

Mittwoch, 26. Februar 2014

Wie ein russischer Hund

"Der größte Schauspieler der Welt ist mein Hund. Wenn er Hunger hat, tut er so, als ob er mich liebt."
Marlon Brando

Heute ist ein echt schöner Tag. Die Sonne scheint, der Frühling kommt, wärmer wird es auch langsam. Mein Tag beginnt heute erst mit der 4. Stunde. Ich bin gut gelaunt. Das Problem ist, meine Schüler sind es auch. Und denken an alles. Außer Unterricht.
Zuerst begegne ich Abdul. "Uuuh, Frau Feynberg, auch schon da? Ausgeschlafen?"
"Abdul, nur weil ich erst jetzt zur Schule komme, heißt es nicht, dass ich vorher nicht gearbeitet habe."
"Aaalleeer, Frau Feynberg, geben Sie ruhig zu. Sie haben bis gerade geschlafen? Ich sehe es an Ihren Augen."
"Aha. Und was genau siehst du in meinen Augen?"
"Die sind so gechillt. Obwohl... Sie sind immer gechillt. Ich glaube, Frauen sind eh immer gut gelaunt. Außer eine Woche im Monat."
"Abdul, du Spasst, du Elender! Wie der Frauen beleidigt. Cüüüsss, Übertreiber!" ruft Nafisa empört.

Ich schaue mich um und sehe, dass Can an der Tafel steht. In der Hand hält er Karteikärtchen. Er möchte eindeutig etwas zum Unterricht beitragen. Toll. Jemand, der doch an Unterricht denkt.
"Guten Morgen, Can. Was machst du da?"
"Ich will Gruppenarbeit machen. Weil ich war doch letztes Mal nicht da. Und Antonio hat gesagt, die konnten nur wegen mir nicht machen. Jetzt will ich aber. Ich bin ja da."
"Can, du hattest verschlafen!"
"Ja und? Ich hab doch Entschuldigung geschrieben. Hier." Er reicht mir ein zusammengeknülltes Blatt. 
"Can, ich werde dein Verschlafen nicht entschuldigen. Verschlafen kann man nicht entschuldigen."
"Aber ich hab doch Entschuldigung geschrieben. Soll ich noch mal schöner schreiben? ich schwör, ich kann!"
"Can! Du hast verschlafen! Du warst nicht beim Arzt, du warst nicht krank. Du! Hast! Verschlafen! Du kannst mir höchstens eine schriftliche Ausarbeitung deines Referates geben. Wenn ich nett bin, korrigiere ich die. Aber du kannst jetzt nichts präsentieren. Jetzt brauche ich die Zeit für ein anderes Thema."
"Was Sie für ein Film hier machen! Nur wegen einmal verschlafen..."
"Can, du warst alleine in der letzten Woche zweimal zu spät. Vom letzten Halbjahr rede ich gar nicht. Besitzt du keinen Wecker oder wo liegt das Problem?"

Can geht mit keinem Wort auf meine Frage ein. "Biiiitteeeee, lassen Sie mich präsentieren. Soll ich noch eine Entschuldigung schreiben?"
"Nein. Du sollst pünktlich kommen. Am besten fünf Minuten vor dem Klingeln."
"Cüüüs, fünf Minuten? Soll ich vielleicht in der Schule übernachten?? Sie haben zerissen!"
"Can, ich habe noch nie verschlafen. Ich bin jeden Tag mindestens eine halbe Stunde vor dem Unterrichtsbeginn da! Von dir verlange ich nur fünf Minuten."
"Wie Sie zerreissen! Reicht doch. Wie ein russischer Hund. Gibt's russische Hunde?"

Dienstag, 25. Februar 2014

Sooo tooodesviele Aufgaben


"Aufgabenstellung: Erklären Sie die Welt und geben Sie zwei kurze Beispiele."
Unbekannt


Max hat sich beim Tischler um einen Ausbildungsplatz beworben. Das Vorstellungsgespräch war härter als gedacht. Der Ausbilder wollte nämlich von Max wissen, wie der jetztige Bundespräsident heißt und welcher Partei Angela Merkel angehört. Die Partei hat er noch hinbekommen, beim Bundespräsidenten wurde es schon schwieriger. Ob er nun diesen Ausbildungsplatz bekommt, weiß Max noch nicht. Der Chef wirkte wohl nicht so begeistert. Allgemeinwissen sollte man haben, sagte er. Und die Namen der wichtigsten Politiker kennen. Die Schwerpunkte der politischen Parteienprogramme wären auch nicht schlecht. Man müsse doch wissen, was momentan in seinem Land geschieht. Irgendwo geschieht es ja auch gleichzeitig mit einem selbst, wenn die Politiker was bestimmen. Recht hat er, finde ich. Obwohl das Gespräch gestern war, ist Max' Schockzustand noch allzu gegenwärtig. 
"Was hat denn das mit Tischler zu tun? Hat Holz auch eine Partei oder was? Warum muss ich denn sowas wissen?" Finde ich super, dass Max vor der gesamten Klasse seinen Emotionen freien Lauf lässt. Ein Fallbeispiel am eigenen Leib erfahren. Eine Ausbildung zu finden, ist wohl doch nicht so einfach, wie viele hier denken. Und die Devise "wird schon" kann man wohl auch nicht immer anwenden.

Da ich spontan und flexibel bin, reagiere ich sofort auf das politische Desaster. Nach einer kurzen Umfrage, verstehe ich, dass kein einziger in diesem Raum außer mir dieses Vorstellungsgespräch überlebt hätte. Zum Glück haben wir Internet und ich weiß, wo ich suchen muss. Also gucke ich auf einer schlauen Seite und finde ein schlaues Filmchen.
"Oh nee, muss das sein? Fernsehen kann ich zu Hause gucken!" meckert Mirko. "Können Sie mich mal wecken, wenn der Film vorbei ist?"
"Mirko! Zu Hause guckst du bestimmt nicht diese Art von Fernsehen."
"Doooch, ich guck auch mal Nachrichten. Kennen Sie diese bei RTL 2?
"Kenne ich. Und genau deswegen solltest du dir auch andere Sendungen anschauen. Wenigstens ab und zu. Also, Augen auf! Und damit ihr genau hinguckt, gibt es noch ein Arbeitsblatt zum Film."
Zum Glück habe ich meinen USB-Stick mit und somit auch meine Arbeitsblattsammlung. Für jeden Fall des Lebens. 
Mandy bekommt das Blatt zuerst. Mit ganz großen Augen dreht sie das Blatt hin und her. Hin und her. "Abou, ich dreh die Seite so um und da sind sooo toooodesviele Aufgaben! Alles nur wegen dir, Max!"
Auch Önder ist derselben Meinung. "Können wir nicht nur Film gucken? Film gucken UND Fragen machen. Bin ich Frau oder was, dass ich telefonieren und Finger lackieren auf einmal kann??"
"Du hast die Aufgabe falsch verstanden. Du sollst nur den Film gucken und ein paar Fragen beantwortet. Von Nagellack war nicht die Rede! Auch nicht vom Telefonieren! Wenn du aufmerksam guckst, ist die Aufgabe quasi schon gelöst!"
Önder legt das Blatt demonstrativ zur Seite.
"Kommt schon Leute! Ich verlange doch hier keine Matheabiturklausur von euch. Önder!"
"Neeeein. Ich verspreche Sie, ich guck und zu Hause mach ich die Hurensohnfragen. Ich kann das Sie auch beweisen. Jetzt noch."
"Ah ja? Und wie?"
"Ich kann schwören!"
"Danke. Aber nein."
Nach vielen Diskussionen, drücke ich auf Play. Kaum jemand hält einen Stift in der Hand. Wenige gucken wirklich den Film. Melina guckt in den Spiegel und unterhält sich dabei mit Mandy. Nicht wirklich leise.
"Melina! Pack den Spiegel weg und guck den Film!"
"Was stört Sie denn? Ich hab nur bisschen meine Lippe angeguckt. Aber nur bisschen. Sie können doch weitergucken!"

Nicht mal Max' Erfahrung bringt die Schüler zur Einsicht. Auch das lebendigste Beispiel ist nicht lebendig genug.

Donnerstag, 20. Februar 2014

Sie stehen in der Sonne


"Was hilft aller Sonnenaufgang, wenn wir nicht aufstehen."
Georg Christoph Lichtenberg 

Gestern gab es Gruppenarbeit. Heute gibt es Präsentationen dieser Gruppenarbeit. Eigentlich. Es ist 8. Die Hälfte der Klasse ist nicht da. Einfach nicht da. In jeder Gruppe fehlt jemand. Und natürlich hat gerade der, der nicht anwesend ist alle Materialien, die die Gruppe für das Referat braucht. Ein Traum für jeden Lehrer. Obwohl sie gestern alle putzmunter durch die Klasse gehüpft sind. Die erste Stunde wird überbewertet. Warum muss man da Unterricht machen. Und die wichtigste Frage: mit wem. Isabel spaiziert rein. Die Ubahn war zu spät. Dann kommt Max. Sein Wecker hat nicht geklingelt. Es ist 8:02 Uhr. Ich stehe da und weiß nicht so recht, was ich machen soll. Das hatte ich ganz anders geplant. Na gut, ich warte bis zehn nach. Es kommt keiner mehr. Walmir liegt auf dem Tisch. Genauer gesagt, auf seinem Rucksack. 
"Waaaalmir! Aufwachen!"
"Boah, wir machen doch eh noch keinen Unterricht. Lassen Sie mich ma."
"Du bist in der Schule. Tue doch wenigstens so, als ob dich das hier interessieren würde."
"Mach ich doch!"
"Nein, nicht in dem du schläfst."
"Ich bin schlecht gelaunt."
"Warum? Was ist passiert?"
"Sie haben mir heute nicht 'Guten Morgen' gesagt. Als Sie auf Pakplatz gefahren sind. Ich stand da. Und Sie. Sie haben nicht 'Guten Morgen' gesagt. Ich muss immer 'Hallo' sagen. Und Lächeln. Das zwingen Sie mich auch noch."
"Wenn es so war, dann habe ich dich einfach nicht gesehen. Also. Guten Morgen, Walmir. Wo ist dein Geschichtsordner?"

"Kein Plan. Ich hab Kopfweh. Können wir nicht gehen? Is eh keiner da."
Ich stehe da. So ziemlich fassungslos. Die Hälfte nicht da. Und die Hälfte, die da ist, macht die Sache auch nicht besser.
"Sie können anfangen! Machen Sie ma schnell, sonst penn ich wieder ein."
"Junge! Sag ma nicht 'schnell' zu ihr. Sie ist nicht dein Knecht!" ruft Nafisa empört.
"Schreibt man 'schnell' eigentlich mit zwei 'L'?"
"Schlag den Duden auf und guck nach! In der Prüfung musst du auch mit dem Duden arbeiten, das ist doch jetzt eine gute Übung!"
"Cüüüüs, was Übung? Alleee, wie schön das Leben in der Grundschule war! In der 4. Klasse konnte ich alles nachfragen. Da hat keiner gesagt 'guck nach'!"
"Tja, das Leben ist hart, Walmir."
Walmir guckt kurz hoch. "Sie stehen in der Sonne. Gehen Sie ma zur Seite. Bitte."
"Sonne? Wir haben 8 Uhr morgens. Und wir haben Februar."
"Dann Licht halt. Gehen Sie mal ausm Licht. Bitte."
"So, Leute. Es wird hier wohl nicht voller heute. Aber wir sind ja spontan und flexibel."
"Ihr könnte schon mal an dem Diagramm weiterarbeiten."
"Was das? Dia... was??"

Mittwoch, 19. Februar 2014

Eltern sind ein komisches Volk

"Eltern verzeihen ihren Kindern die Fehler am schwersten, die sie ihnen selbst anerzogen haben."
Marie von Ebner-Eschenbach

Eltern sind ein komisches Volk. Eltern sind ein Volk, über die ich mich mehr ärgere. Mehr als über den schlimmsten Schüler dieser Welt. Eltern sind die, die ich eigentlich miterziehen muss. Nicht nur ihre Kinder. Kann man Eltern erziehen? Habe ich ein Recht, sie zu erziehen? Muss ich sie erziehen, kann das nicht jemand anders tun? Ist ja nicht so, dass ich nicht ausreichend Hobbies hätte, denen ich in meiner Freizeit nachgehen könnte. Kann man nicht noch eine Schulpsychologin einstellen und einen Sozialarbeiter zusätzlich? Pro Klasse. Für die Eltern der Schüler.

Jedes Verhalten hat einen Grund. Jedes Kind ist das Produkt gewisser Umstände. Und seiner Eltern. Cans Vater verspätet sich jedes Mal. Egal ob zum Elternabend oder zu einem Gespräch. Nafisa Mutter bittet mich, ihre Tochter für einen Tag zu entschuldigen. Sie muss zum Amt, übersetzen helfen. Dafür kann man einen Tag Schule ausfallen lassen. Auch bei Schnupfen und bei der monatlichen Regel. Auch da muss man die Schule nicht besuchen. Das wird alles entschuldigt. Melinas Mutter begrüßt mich mit den Worten: "Hallo Frau Feynberg, wie geht's dir?" Isabels Mutter schreibt Entschuldigungszettel auf abgerissenen Zetteln. Am besten noch mit Flecken drauf. Es sind eher Stichpunkte, die man da lesen kann. Max' Eltern sind kaum zu erreichen. Wenn ich mich über nicht gemachte Hausaufgaben, fehlende Materialien sowie unentschuldigte Tage beschwere, fragen sie mich, warum ich denn so schlecht gelaunt sei und ob ich nicht freundlicher mit ihnen sprechen könnte. Es ist doch ihr Sohn, der was ausgefressen hat. Sie sind es nicht. Oder Önders Mutter, die mir nach 20 Uhr eine SMS schreibt und fragt, welche Hausaufgaben Önder zu morgen erledigen soll. Oder, oder, oder. Ich rege mich über die Schüler auf. Doch dann treffe ich ihre Eltern. Und sehe die Welt plötzlich mit ganz anderen Augen. Und dann versuche ich zu verstehen. Warum etwas so ist, wie es ist. Und ich frage mich. Ob das überhaupt möglich ist. Gegen diese Erziehung zu Hause, gegen diese Werte, die keine sind, gegen die zahlreichen Erlebnisse, die die Schüler schon geprägt hatten, bevor wir uns kannten, anzugehen. Ich rede und rede und rede. Und dann kommen die Eltern und machen genau das Gegenteil. Peng. Das, was ich da geredet habe, ist auf einmal nichts mehr wert. Nicht das Geringste. Die Schule muss bilden und erziehen. Die Eltern erziehen und bilden. Eigentlich erziehe ich. Und bilde nebenbei. Doch wie viel Erziehung bleibt tatsächlich hängen? Wie viel Kampf lohnt sich? Wie viel Preis zahlt man für welches Ergebnis?

Dienstag, 18. Februar 2014

Kann man doch löschen

"Das Internet ist für uns alle Neuland."
Angela Merkel

Ich halte den Lebenslauf von Önder in der Hand. Bei den Hobbys steht 'Facebook chillen'. Die Email-Adresse lautet: derbabo44@hotmail.de. Und das nachdem ich den Kiddies bereits seit 3,5 Jahren erzähle, dass eine Email-Adresse aus Vornamen und Nachnamen, nur Nachnamen oder einer Mischung aus beidem bestehen soll. Gerade für Bewerbungszwecke.

"Önder, finde den Fehler auf dem Blatt!"
"Hä? Is doch perfekt!"
"Perfekt ist, wenn ich zehn Stunden am Stück schlafen kann. Das hier ist nicht perfekt. Also?"
"Wort falsch? Aber sagen Sie jetzt nich, ich soll Duden holen. Wie ich dem hasse, diese Häßlichkeit! Welches Opfer macht so ein dickes Buch??"
"Nein, kein Wort. Und auch der Duden kann nichts dafür. Guck genau hin!"
"Aaalllee, ich hab kein Bock zu gucken! Sie können mir schon mal 6 geben. Ich heul auch nicht. Schwör."
"Wir kennen uns doch nicht seit gestern, Önder. Es gehört nicht zu meinen Hobbys, euch schlechte Noten zu geben. Facebook chillen übrigens auch nicht."
"Ah soooo! Das meinen Sie! Is schlecht oda was?"
"Auch das, ja. Was ist denn das für ein Hobby, Facebook chillen?"
"Jaaa, Facebook halt. Fotos, Party und so."
"Was auch immer du da für Fotos hast.. ihr solltet alle überlegen, was ihr da postet! Die Arbeitgeber gucken nämlich auch da nach, während sie überlegen, wen man einstellen soll und wen nicht."
Hier mischt sich Can ein. "Ja stimmt, was du gestern über mich geschrieben hast. Frau Feynberg, das war Mobbing!!"
"Can, du kleine Missgeburt! Halt die Fresse!"
"Önder! Du wolltest heute sicher nett sein..."
"Immer ich!" antwortet Önder empört. "Darf ich nicht meine Meinung sagen? Alle dürfen, nur ich nicht. Er ist doch eine Missgeburt. Meine Meinung."
"Und Mobbing, Önder, kann zu einer Anzeige führen!"
Mandy hat eine Idee. "Aber ist doch egal. Kann man doch löschen."
"Mensch Leute, man kann bei Facebook nichts löschen. Nicht endgültig. Wenn es einmal da ist, ist es da. Haalloo? Das läuft doch gerade hoch und runter in den Nachrichten. Hat jemand eine Idee, worüber ich spreche?"
25 leere Augenpaare schauen mich an.
"Hmmm, Nachrichten." Mandy denkt total angestrengd nach. "Nachrichten... Meinen Sie, Olympische Spiele?"
"Leute, habt ihr schon was von der NSA gehört?"
Und schon wieder. 25 leere Augenpaare.
Mandy versucht sich zu retten. "Ich wollt nur testen. Ich weiß doch, dass im Internet nix verschwindet. Wie Sie sich aufregen. Wieso sind Sie so schlecht gelaunt? Haben Sie Hass auf mich?"
"Ok, wir machen es ab jetzt so. Jeden Freitag wird hier ein Zeitungsartikel vorgestellt. Jeder ist einmal dran. Ihr müsst wissen, was um euch herum passiert."
"Nur Deutschland oder auch Ausland? Weil ich hab gehört, aus Bayern kommen jetzt Lehrer nach Berlin. Kann ich darüber machen?"
Ich gucke Melina total verdattert an.
"Hä? Is nich Ausland?"

Mittwoch, 12. Februar 2014

Jeder mit seiner Geschichte

"I ran away today, ran from the noise, ran away
Don't wanna go back to that place, but don't have no choice, no way
It ain't easy growin up in World War III
Never knowin what love could be, well I've seen
I don't want love to destroy me like it did my family"


Pink (family portrait) 


Es ist ganz still in der Klasse. Die Schüler arbeiten. Und ich schaue mich um. 

Da ist Can. Jemand, der meistens lächelt und der erste ist, der sich meldet, wenn Hilfe gebraucht wird. Mandy, die ihr letztes Praktikum im Altersheim gemacht hat. Meine Begeisterung für ihre Geduld beim Umgang mit Senioren klingt bis heute nicht ab. Önder, der wahrscheinlich eine weiterführende Schule besuchen wird, um Abitur zu machen. Önder, dem das keiner zugetraut hatte. Isabel, die zeichnen kann, als wäre sie die Schülerin von Albrecht Dürer höchstpersönlich. Und die ihre Hosen selbst kürzen kann. Da ist Umut, der lebendige Umut, der jedes kleinste Detail eines PCs benennen und die Funktionsweise erklären kann. Und blind tippen kann er auch. Mit zehn Fingern. Timm, den ich immer um Rat frage, bevor ich eine KFZ-Werkstatt aufsuche, weil er sich bei Autos wie zu Hause fühlt. Nafisa, die so herzlich lachen kann und die ein herzensguter Mensch ist. Da ist der zielstrebige Abdul, der versprochen hat, im neuen Jahr ein neuer Abdul zu werden. Ich erkenne jeden Tag seine Mühe. Melina, die Kroatisch sprechen, lesen und schreiben kann. Schon mal zwei Sprachen perfekt. Mirko, der so gut und so schnell Kopfrechnen kann, wie ich Schuhe shoppen. Und alle anderen. Jeder mit seinen Stärken.

Da sitzen sie alle. Jeder mit seiner Familiengeschichte. Mit so einer Geschichte, die sich der beste Drehbuchautor der Welt nicht ausdenken könnte. Der beste Drehbuchautor für Horrorfilme. Jeder mit seinen Sorgen und Problemen. Und sie alle mit einem gesellschaftlichen Stempel mit Zurechtweisungen und Hinweisen auf alles das, was sie nicht können. Und nur Verbote. Das darfst du nicht. Und jenes darfst du auch nicht. Und dann diese Bemerkungen, von wegen deine Klasse und deine Schüler. Die schon wieder. Falsche Bewegung, falscher Spruch, keine Hausaufgaben. War ja klar. Die können doch sonst nix, als alles falsch zu machen. Natürlich nicht. Wenn man ihnen erst gar nicht die Chance dazu gibt, etwas richtig zu machen. Sich zu präsentieren. Das zu zeigen, was sie gut können. Und sie können eine Menge. Wie sollen die denn auch anders können? Wenn man sie nicht lehrt, anders zu agieren. Und warum sind wir noch mal Lehrer geworden? Bestimmt nicht wegen der Ferien.
Wir müssen umdenken. Die Jugendlichen haben sich geändert. Die Elternarbeit hat sich geändert. Die Zeiten haben sich geändert. Müssen alle dasselbe lernen? Werden die unterschiedlichen Kurse, Anträge, Verordnungen und Paragraphen die Bedürfnisse der Gesellschaft und der Jugendlichen erfüllen? Wir brauchen einen Raum, in dem die Jugendlichen sich entfalten können, in dem sie kreativ sein können. Einen Raum für Wünsche, Träume und Optimismus.

Mirko meldet sich. Schnell bin ich mit meinen Gedanken wieder in der Realität. 
"Muss ich Beruf von mein Vater bei Lebenslauf schreiben? Ich hass den. Der ist voll lange her abgehauen. Ich kenn den gar nicht."

Dienstag, 11. Februar 2014

Haben Frauen überhaupt Rechte?

"Wir wollen lieber fliegen als kriechen."
Louise Otto-Peters (Frauenrechtlerin) 

"Frau Feynberg, wollen Sie Kinder?"
"Ja. Und du, Önder?"
"Ich will auch. Aber irgendwie hab ich mies Angst, dass die so werden wie wir. So nervig. Wallah, ich schwör, ich würd den so eine Schelle geben. Soll der ma einmal nicht seine Hausaufgaben machen."
"Wieso er? Vielleicht bekommst du ja nur Mädchen?"
"Was, nur Mädchen? Normal, bekomme ich Jungs. Als erstes auf jeden Jungen. Aber ich schwör, ich hoffe, ihre Kinder werden so brav. Stell dir vor Abdul, so Kinder wie unsere Klasse, ich würd mich erhängen!"
"Frau Feynberg, nennen Sie ma Ihren Sohn Abdul! Übetrieben schöner Name." sagt Abdul zufrieden. Auf einmal weiten sich seine Augen ins Unermessliche.
"Warten Sie Frau Feynberg. Sie haben doch letztens geheiratet! Vielleicht sind Sie schon schwanger? Nein, Frau Feynberg, nein. Sie können noch nicht schwanger werden. Ich muss noch mein Abschluss machen. Bitte, noch nicht. Sie müssen mich noch unterrichten. Ich kann ohne Sie nicht."
"Abdul! Welch nette Worte aus deinem Mund! Das ist ja ein echtes Kompliment für mich!"
Abdul wird rot.
"Jaaa, übertreiben Sie jetzt ma nicht. Als ob ich in Sie verliebt wär!"
Zum Glück schaltet sich Önder ein. Abdul wird das alles langsam zu peinlich.
"Aller, Abdul... Wenn Sie Ihren Sohn Abdul nennen, Frau Feynberg, dann können Sie ihm gleich Kanakenschwein nennen. Ja gut, ich geb zu, ich bin vielleicht auch Kanake. Aber Abdul geht gaaar nicht."
"Und ich soll auch nur Jungen bekommen oder was? Ein kleines Geheimnis: auch Mädchen erblicken manchmal das Licht der Welt. Aber sag's nicht weiter."
"Ich weiß doch. Denken Sie, ich wär dumm?"
"Keineswegs."
"Aber was Mädchen? Mädchen. Haben Frauen überhaupt Rechte?"
Ich setze meinen bösesten Blick auf. Und auch die Mädchen in der Klasse schauen zum ersten Mal in dieser Stunde hoch.
"Aaaaler Spaaaaß. Nur Spaaß, Frau Feynberg! Ich liebe Frauen!"
"Cus, Önder, was du wieder für ein Scheiß labberst!" Mirko gähnt und reckt sich. "Ich hab viel wichtigere Frage, Frau Feynberg. Wie viel Stunden haben wir heute?"
"Du hast einen Stundenplan, guck drauf!" Mirko guckt sich genau den Stundenplan an. So als würde er ihn zum ersten Mal sehen.
"Oookkk... und wie vielte Stunde ist jetzt?"
Ich schweige. Das wird mir zu doof.
"Wann ist Pause?"
"Mirko, Pause ist wenn Pause ist. Und Schluss hast du, wenn du Schluss hast. Noch Fragen?"
"Ja. Wie vielte Stunde ist das?"

Montag, 10. Februar 2014

Déjà-vu

Paul: "Sie haben sicherlich Fragen?"
Doug: "Um Fragen zu haben, müsste ich erstmal was wissen."
Aus dem Film 'Déjà-vu'

Wir hatten Ferien. Nur eine Woche. Aber Ferien sind Ferien. Frei. Schulfrei zumindest. Am Montag schrieb Timm eine Nachricht. Er wolle sich gerne verbessern. Was er in den Ferien zusätzlich machen könne, hat er gefragt. Welch' Freude, dachte ich. Und welch Überraschung. An seinem Lebenslauf und der Bewerbung sollte er arbeiten, schrieb ich. Und schickte ihm mindestens fünf Smileys hinterher. Nafisa schrieb eine E-Mail. Sie muss am kommenden Donnerstag ein Referat über Georg Elser, einen Widerstandskämpfer, halten. Nafisa fand bei ihrer Recherche im Internet nur George Clooney und George Bush. Sie fragte, ob sie nicht einen "anderen Menschen" aussuchen könnte.

Dann begannen tatsächlich die Ferien. Und ich fuhr nach Bayern.
Bayern, das PISA-Wonderland. Das Bundesland, das sich äußerst genau seine Lehrer aussucht und dessen Schüler die gesamte Republik beeindrucken. Zumindest, wenn man der Statistik glaubt. Nett, ist es da, in Bayern- schöne Ecken und nette Menschen. 
Ich bilde mich ja gerne weiter. Auch in den Ferien. Also ging ich ins Museum. Ein echt interessantes. Ich war nicht alleine. Mit mir besuchte eine Klasse die Ausstellung. Könnte auch meine sein. Obwohl in Bayern. Jogging-Hose, Kaugummis, Caps, Kopfhörer. Auch ich habe gehört, welche Musik das Mädchen da hört. Rap natürlich. Kaum einer betrachtet die Ausstellungsexponate. Der Lehrer spricht allerdings einen Jungen an.
"Hasan!"
Hasan reagiert nicht.
"H-A-S-A-N!"
"Hä?"
"Kopfhörer aus den Ohren!"
"Aber ich hör doch gar keine Musik. Ist nur so."
"Du bist im Museum, raus mit den Dingern!"
"Weiß ich's doch!"
"Hasan, wie heißt das Museum hier?"
Der Name des Museums steht ganz groß am Eingang. Im Unterricht ist er sicherlich auch schon einige Male gefallen. Das macht man so, wenn man einen Unterrichtsgang plant. Man bereitet ihn vor. Anscheinend war Hasan da nicht anwesend, denn er antwortet:
"Keine Ahnung, aller. Können wir nicht Döner gehen??"
Ich erlebe ein Déjà-vu. Oder auch mehrere. Ich muss lächeln. Welcome to Bayern, PISA-Wonderland.

Mittwoch, 22. Januar 2014

Ich hab mir mieseste Mühe gegeben!

"Süß ist die Erinnerung an vergangene Mühe."
Euripides


"Can, hast du die Hausaufgaben gemacht?"
"Nein. Aber ich habe dafür Englisch gemacht."
"Und was hat dagegen gesprochen, Deutsch und Englisch zu machen?"
"Boah, Frau Feynberg, ich kann doch nicht mit linken und rechten Hand gleichzeitig schreiben!"
"Caaaan, du hattest eine Woche Zeit für die Aufgabe! Hättest ja zuerst Englisch und dann Deutsch machen können. Oder umgekehrt."
"Ja, war doch nur eine Woche. Viel zu wenig Zeit. Können Sie nicht heute zwei Wochen geben? Oder so?"
"Aaaaller Junge, ich hab gestern bis 12 Uhr nachts Hausaufgaben gemacht! Frau Feynberg, biiitteee kontrollieren Sie! Biiiitte! Ich hab mir mieseste Mühe gegeben!"
"Klar, Abdul. Machen wir gleich."
"Puh, ich schwör, Sie haben mich gerettet! Ich dacht schon, alles war umsonst."
"Abdul, du weißt doch, du lernst nie umsonst."
"Ja ja. Ich bin eh Einstein. Wie gut ich bin, dass ich diese Hausaufgaben gemacht habe. Babo!"
"Also Einstein.. ich weiß nicht.. aber schon mal toll, dass du vorbereitet kommst!"
"Frau Feynberg, wenn Sie mir Ihr Lösungsheft geben, dann bin ich sogar Vater von Einstein. Mit Lösungsheft kann jeder."
"Abdul, quatsch nicht so viel. Hol schon mal alles raus. Es geht gleich los. So Leute, ihr kennt eure Aufgabe. Jeder geht zu seinem Partner."
Can hört ganz aufmerksam zu, seit er das Wort 'Lösungsheft' aufgeschnappt hat. "Frau Feynberg, kann ich mit Sie Gruppenarbeit machen? Dann könnten Sie mir Ihr Lösungsheft geben und ich wär der Beste!"
"Nein."
"Wieeeesooo? Efkan und Isabel machen doch auch zusammen."

Dienstag, 21. Januar 2014

Immer noch Deutsch

"Als ich nach Deutschland kam, sprach ich nur Englisch - aber weil die deutsche Sprache inzwischen so viele englische Wörter hat, spreche ich jetzt fließend Deutsch!"
Rudi Carell
 
Irgendwie sind wir in der 10ten. Irgendwie kommt der MSA irgendwann. Irgendwie muss man etwas tun, um die Prüfungen zu bestehen. Irgendwie geht das gar nicht in die Köpfe meiner Schüler rein.
Heute müssen wir uns mit Sachtexten beschäftigen. Das heißt, viel Text über sich ergehen lassen. Und dazu noch viele eigenartige Wörter, die man vorher noch nie gehört hat. Lernen klappt nur, wenn das Interesse für den Gegenstand vorhanden ist. Dann ist die Motivation da. Lernen klappt, wenn Timm begeistert von dem Auto erzählt, das er letztens bei einem befreundeten KFZ-Mechaniker zerlegen durfte. Lernen klappt, wenn Isabel von den Krankheiten ihrer kleinen Geschwister erzählt und nach dem Besuch beim Kinderarzt ganz genau erklären kann, warum Impfungen den Körper schützen. Lernen klappt, wenn Önder die Computerspiele auf Englisch einstellt und am nächsten Tag stloz die neuen Vokabeln präsentiert.

Lernen klappt nicht, wenn etwas gelernt werden muss, es aber niemanden interessiert. Lernen klappt nicht, wenn man in der Schule sowieso keinen Sinn sieht und Inhalte anwenden muss, von denen man meint, sie nie wieder im eigenen Alltag gebrauchen zu können. Lernen klappt nicht, wenn man etwas lernen muss, was andere beschlossen haben. Und es klappt nicht, wenn alle dasselbe lernen müssen. Jeder hat schießlich andere Interessen.
Es gibt aber bestimmte Inhalte, die jeder lernen muss, um die Prüfungen zu bestehen. Keiner will lernen. Jeder will den MSA in der Tasche haben. Ein kleines Dilemma, das wir da haben.
Heute bin ich fest entschlossen, in den Kiddies die Lust auf Sachtexte zu wecken. Jeder muss sie verstehen können- egal ob KFZ-Mechatroniker oder Sprechstundenhilfe beim Kinderarzt. Ich komme in die Klasse und blicke in totale leere Gesichter. Und auf total leere Tische.
"Hopp Hopp, Deutsch auspacken, Kaugummis ausspucken, Essen wegpacken!"
"Was?" fragt Can.
Isabel scheint auch noch nicht angekommen zu sein. "Was haben wir jetzt?"
"Immer noch Deutsch."
"Scheeeeiße. Echt? Deutsch?"
"Echt. Deutsch. Einmal am Tag in den Stundenplan gucken und schon weißt du, was hier los ist."
Auch Önder ist mit dem Stundenplan nicht einverstanden. "Wieso haben wir denn Deutsch? Haben Sie gaaar nicht angesagt. Ich hab das Hurenheft gar nicht mit."
"Önder! Besitzt du einen Stundenplan?"
"Nein."
"Stimmt. Stundenpläne werden absolut überbewertet."
"Wallah? Is Ihr Ernst?"
"Natürlich nicht."
"Abou. Übertreiberin."
"Wer von euch hat das Heft nicht dabei? Nein. Wer von euch hat das Heft dabei?"
Abdul und Mandy melden sich. Sonst keiner. Mist, meine Unterrichtsplanung kann ich wegschmeißen.
Plötzlich höre ich ein Rülpsen. Ein ziemlich lautes. "Cüüüüs, haben Sie dem gehört?" Als Önder meinen Blick sieht, fügt er ganz schnell hinzu: "Schuldigung, ich schwör, ich dacht, ich wär zu Hause."
"Entschuldigung angenommen. Aber warum kaust du denn weiterhin einen Kaugummi?"
"Hä? Darf ich nicht? Wir machen doch noch gaaar kein Unterricht."
"Auf dem gesamten Schulgelände wird nicht gekaut." Und plötzlich habe ich eine Idee.
"Ich brauche einen Freiwilligen."
Alle Hände schießen hoch.
"Abdul, kannst du bitte ins Sekretariat gehen und für uns alle die kopierte Schulordnung mibringen?"
Ist schließlich auch ein Sachtext.

Donnerstag, 16. Januar 2014

Ich schmink mich doch nur.

"Charme ist der unsichtbare Teil der Schönheit, ohne den niemand wirklich schön sein kann."
Sophia Loren 

Kinder sind Kinder. Jugendliche sind auch Kinder. Aber Eltern, was macht man mit Eltern? Was macht man mit Eltern, die selbst nichts von Pünktlichkeit, Ordnung und Disziplin halten? Eltern, die nicht mehr weiterwissen, verzweifelt sind, Eltern die von ihren Kindernvor uns Lehrern so beschimpft und fertiggemacht werden, so dass ich am liebsten im Boden versinken möchte. Vor Scham. Oder Eltern, vor denen ein Kind so viel Angst hat, dass ich mich bei diesen Eltern gar nicht melden möchte. Gesund können diese Maßnahmen nun auch nicht sein. Eltern, die um 11 Uhr morgens noch schlafen, wenn ich anrufe, Eltern, die zu keinem einzigen Termin kommen. Eltern, auf dessen Hilfe ich nicht zählen kann.

Mandy ist heute bestens gelaunt. Ihr Gesichtsausdruck gleicht dem Regenwetter. Sie guckt mehr in den Spiegel vor sich, als nach vorne. Auf dem Tisch ist nichts. Kein Stift, kein Blatt, kein Buch. Nur ihre Tasche.
"Mandy!"
"Waaaas?"
"Finde den Fehler auf deinem Tisch."
Mandy guckt mich absolut gelangweilt an. "Hä? Was wollen Sie denn von mir?"
Es hat keinen Sinn. Heute nicht.
"Ah nichts. Wollte nur sichergehen, dass es du es bei uns im Klassenzimmer bequem hast."
Mandy rollt mit den Augen. "Jaaa, rufen Sie halt mein Vater an. Mir doch egal. Der macht eh nix."
"Das hatte ich gar nicht vor."
Anscheinend bin ich nicht die einzige, die genervt ist.
"Cüs, Mädchen, kauf dir ma eine Tüte gute Laune! Wie die nervt! Missgeburt elende! Ich würd dich so mobben. Ich hätt so Lust. Aber ich darf ja nicht. Oder darf ich doch, Frau Feynberg?!" Yunus schreit und springt vor Vorfreude.
"Natürlich nicht!"
In dem Moment fängt Mandy an, sich zu schminken. Meine Geduld verabschiedet sich langsam, aber sicher.
"Ist es eigentlich dein Ernst?"
"Waaas? Soll ich hier einen auf Robin Hood machen? So als ob ich nett bin? Ich bin nicht nett! Ich bin voll nervlich drauf. Lassen Sie mich mal in Ruhe!"
"Gerne. Aber kannst dann einfach still sitzen? Von mir aus auch rausgehen? Ich fühle mich nämlich beim Unterrichten gestört und viele andere hier sicherlich auch."
"Neeein, aber ich will hier bleiben. Ich schmink mich doch nur. Wie im Gefängnis hier.."
"Vielleicht sollte ich mich doch mal mit deinem Vater unterhalten."
"Ja, rufen Sie meinen Vater an. Aber biiiitte nicht morgen. Wegen Wochenende. Rufen Sie lieber heute an. Ja? Sonst kann ich mein Wochenende wegschmeißen, ja? Is voll geiler Sale gerade. Ich muss Primark gehen."
"Na dann. Herzlichen Glückwunsch zu diesem Plan..."

Mittwoch, 15. Januar 2014

Alles positiv

"Alle Dinge werden zu einer Quelle der Lust, wenn man sie liebt."
Thomas von Aquin


Als ich gerade nach Hause fuhr und abbiegen wollte, schaltete sich die Fußgängerampel auf grün. Am Bürgersteig mindestens 20 Kindergartenkinder und drei Erzieherinnen. Ich völlig genervt und geschafft vom Vormittag und den Nachmittag noch vor mir. Mit Korrigieren, Eltern anrufen und diverse Arbeitsblätter für morgen vorbereiten. Zum Sport gehen wäre eigentlich auch nicht shclecht. Ich stehe also an dieser Ampel und befürchte Schlimmes. Ich befürchte mindestes zehn unnötige Minuten Wartezeit, bis diese Kindergartengruppe es schafft, die Straßenseite zu wechseln. Irgendwie liegt es doch in der Lehrermentalität, vom Schlimmsten auszugehen. Ich, nein ich bin nur positiv, denke ich und ertappe mich immer wieder bei den negativen Gedanken.

Aber zurück zu der Ampel und dem Kindergarten. Eine Erzieherin steht ganz vorne, die andere ganz hinten und die dritte in der Mitte. So wie es sich gehört. Plötzlich sagt die Erzieherin ganz hinten etwas. Ich kann nur die Lippenbewegung sehen, habe keine Ahnung, was sie da von sich gegeben hat. Innerhalb von höchstens fünf Sekunden werden aus dem Haufen geordnete Zweier-Reihen. Zügig überqueren die Kinder die Straße und ich stehe mit offenem Mund da und vergesse, dass ich schnell nach Hause wollte. Warum reagieren meine Schüler auf meine Anweisungen nicht so schnell? Trotz mehrfacher Ansagen, melden sie sich nich rechtzeitig krank, sagen nicht Bescheid, welches Thema sie noch einmal üben möchten, setzen sich nicht sofort um, spucken ihr Kaugummi doch nicht aus oder holen ihre Materialien erst zehn Minuten nach dem Klingeln raus? Lag es an der Autorität der Erzieherin, an ihrem Spruch, vielleicht an dem gutbürgerlichen Bezirk? Ich bin baff.

Und dann denke ich an die Wunschliste einiger Berliner Schulen, die letztens veröffentlich wurde.
Und denke dann an meine Schule. Sooo unhygenisch ist es bei uns nicht. Man kann sich ohne Ekelgefühl von A nach B bewegen. Auch die Toiletten kann man durchaus benutzen, auch wenn man seine eigene Seife mitbringen muss. Lehrer haben wir gerade noch so viele, dass der Unterricht vollständig gewährleistet werden kann. Der Schulhof ist zwar total langweilig, aber immerhin groß. In letzter Zeit ist nur ein Fenster abgefallen, weil es so marode war- es war gerade kein Schüler in der Nähe. Die Wände kann man wegen des nicht vorhandenen Budgets nicht mehr streichen lassen. Aber egal, dann können sich die Jugendlichen an *ihrem* Raum beteiligen. Eine neue Turnhalle haben wir auch. Und auch Smartboards in fast jedem Klassenraum. Berlin soll ja bald ganz kreidefrei werden. 

Und meine Schüler. Die sind eigentlich nett und witzig. Die fragen nach, wie es mir geht. Sie entschuldigen sich, wenn sie zu spät in die Klasse reinstürmen. Ziele haben sie auch. Theoretisch. Im Kopf haben viele auch was. Bestimmt werden diese Zellen ganz bald die Faulheit besiegen. Die Kiddies sind auch hilfsbereit. Die würden den schwersten Schrank drei Stockwerke hochtragen. Während der Unterrichtszeit natürlich. Also ist doch alles gut. Alles positiv.

Donnerstag, 9. Januar 2014

Lob ist toll!

"Im Lobe ist mehr Zudringlichkeit als im Tadel."
Friedrich Wilhelm Nietzsche

Es klingelt. Ich bin geschafft. Sind denn wirklich erst vier Tage seit den Ferien vergangen? 

Die Schüler scheinen genauso erfreut über das Klingelzeichen zu sein. Munter stürmen sie in den Flur. Lediglich Can bleibt stehen.
"Frau Feynberg... ich wollt nur sagen... also... ich war in diesem Büro. Wegen Ausbildung!"
Ich bin sofort hellwach. "Und und?"
"Die haben mich gelobt. Ich verstehe das gar nicht." Wie abwesend fügt noch einmal hinzu: "Gelobt... die haben mich gelobt..."
"Super! Dann scheinst du ja etwas richtig gemacht zu haben! Lob ist toll!"
"Ja.. schon... die haben gesagt, ist voll gut, dass ich denen Lebenslauf und Bewerbung gebracht habe. Ah so.. und dass ich noch angerufen habe. Wegen Termin. Die haben noch gesagt, ich habe gute Chancen und so. Der Mann muss noch mit seinem Kollegen oder so sprechen."
"Das sind ganz ganz tolle Nachrichten! Toll, ich freue mich sehr!"
"Ja aber.. Lob und so. Sie haben uns ja gezeigt, wie man Bewerbung macht. Und das mit dem Anruf auch. Also.. ich wollte noch Danke sagen. Sie haben mir ja auch gesagt, ich soll dahin gehen."
"Sehr gerne! Halte mich auf dem Laufenden!"
"Ok. Tschüß. Und schönen Tag noch."
 Can geht zur Tür, bleibt aber dann stehen. "Und noch was, Frau Feynberg. Ich bin stolz auf mich..." sagt er ganz leise.

Und dann verstehe ich wieder einmal, dass ich den schönsten Beruf überhaupt habe.

Mittwoch, 8. Januar 2014

Hatten Sie diese Vögel?

Richtig verheiratet ist der Mann erst dann, wenn er jedes Wort versteht, das seine Frau nicht gesagt hat.
Alfred Hitchcock 

Ich bin mitten im Unterricht. Gerade bei der Kommasetzung. Da schreit Isabel: "Aaaaaah, sie hat ein Ring, Sie hat ein Ring! Frau Faaaaynberg! Geheiratet oda was??"
Die Klasse stöhnt und Önder antwortet: "Cüs, Mädchen! Was los mit dein Gedächtnis? Als deine Mutter dir gesagt hat, bring Müll raus, hast du dein Gedächtnis weggeschmissen? Frau Feynberg hat Tausendmillionenmal vor Ferien gesagt, die heiratet!"
Isabel ist platt. "Echt? So richtig geheiratet? Mit weißes Kleid? Und hatten Sie diese Vögel? Wie heißen die? Diese... Tauben?"
"Nein, wir hatten keine Tauben."
"Aber weißes Kleid wie Prinzessin?"
"Ja, weißes Kleid. Können wir jetzt weitermachen mit Kommasetzung?"
"Ooooh, wie schön. Ja ok, ich stell keine Fragen mehr. Komma."
Nafisa möchte sich nicht mit der Kommasetzung auseinandersetzen und sagt: "Frau Feynberg, bringen Sie ma Fotos."
"Nein."
"Biiiittteeee, ich will soooo sehr sehen!"
"Meine Hochzeit. Meine Fotos. Nein."
"Aber sagen Sie dann... ist Ihr Mann auch Jude?"
"Ja."
"Schwören Sie! Miesgeil! Ich kenn jetzt zwei Juden, Sie und Ihre Mann! Verdient Ihr Mann viel?"
Auch hier reagiert Önder: "Als ob Frau Faynberg den wegen Geld heiratet! Hauptsache Gesundheit, wa, Frau Feynberg?"
"Genau, Önder! Und Nafisa, du kennst meinen Mann doch gar nicht?!"
"Egal. Aber ich kenn Sie. Das ist so wie... ich kenne Ihre Mann."
"In 15 Jahren will ich auch heiraten," erklärt Mandy. "Aber auf jeden Fall mit Tauben. Und vielleicht Limousine. Nee, habe ich 15 gesagt? Da bin ich ja 33. Nee, 32. Nee, 31. Scheiße, wie alt bin ich dann? Neee, vooooll alt schon. Ich heirate in 8 oder so. Aber mir ist schon bisschen wichtig, dass der Mann gut verdient!"
"Ok Leute, es reicht. Ihr könnt mir gerne in der Pause weitere Fragen stellen. Jetzt arbeitet jeder mit seinem Partner. Melina, wo ist dein Partner?"
"Sie hat keinen Partner, sie ist Single! Nicht so wie Sie!"
Hier denkt niemand an Deutsch. Niemand. Nur ich.

"Also, ich finde Heirat macht gar keinen Sinn." David hat bisher kein Wort gesagt. Auf einmal scheint er, wach zu sein. "Man lässt sich eh wieder scheiden. Und Kinder will ich auch nicht, kosten nur Geld." David guckt ganz traurig.
"Ich hab noch eine Frage, Frau.. Feynberg!"
"Isabel, du hast doch schon alle möglichen Fragen gestellt..."
"Neeein, ich habe noch eine. Letzte, wirklich! Versprochen... was war noch mal die Frage? Ah ja! Haben Sie schon Flitterwochen gemacht?"
"Nein."
"Wann machen Sie?"
"Möchtest du, dass wir jetzt sofort wegfahren oder warum fragst du?"
"Nein, ich wollt nur fragen, wie viele Wochen Sie dann bleiben? 10?"

 

Dienstag, 7. Januar 2014

Warum soll ich Sie anrufen?

"Wenn eine Frau beim Telefonieren 'Also bis bald' sagt, beginnt die letzte Viertelstunde des Gesprächs.
Chris Howland


Zwei Wochen sind kurz. Für mich zumindest. Ich wäre dafür, die Ferien zu verlängern. 
Für die Kiddies sind sie viel zu lang. Zwei lange Wochen, in denen man an alles denkt, außer Schule. Obwohl man Hausaufgaben hatte. Obwohl MSA ansteht. Obwohl Lesen empfohlen wurde. Zwei Wochen, in denen man an alles denkt. Außer an Pünktlichkeit, Ordnung und Verantwortung.Viel zu lange zwei Wochen.

Wir haben also wieder Schule. Und ich muss wieder an den Anfang. 
Abdul ist krank, vergisst aber, sich abzumelden. Seine Eltern denken erst gar nicht dran. Ich rufe bei Abdul an. In der Pause. Um 9:40 Uhr.
"Hallo, hier ist Frau Feynberg, ist Abdul zu Hause?"
"Ja, aber schläft??!" Die Mutter scheint total überrascht zu sein, dass ich anrufe.
"Er muss aber seit 8 Uhr in der Schule sein. Die Schule hat wieder angefangen. Ferien sind vorbei!"
"Ja, aber Ferien auch krank."
"Er ist krank?"
"Sehr krank. In Ferien."
"Ja, das verstehe ich. Aber jetzt ist Schule. Keine Ferien mehr. Und gestern war er doch da?!"
"Gestern nicht krank. Jetzt auch krank."
"Er ist also immer noch krank?"
"Ja, immer krank."
"Und warum hat keiner angerufen, um ihn krankzumelden?"
"Ja. Nicht gut. Später Abdul geht Arzt und später Sie anrufen. 5 Uhr." Warum er erst um 5 Uhr zum Arzt geht, ist eine gute Frage. Ich stelle sie aber nicht.
"Wenn Abdul krank sein sollte, müssen Sie in der Schule anrufen! Oder eben Abdul. Er kann auch mich anrufen. Ich muss als Klassenlehrerin wissen, wo Ihr Sohn ist. Es könnte ja auch sein, dass etwas passiert ist!"
"Neeeein, nix passiert. Krank. Nur krank. Wissen Sie?"
"Ok... Gute Besserung und sagen Sie ihm, er soll mich anrufen, nachdem er beim Arzt war."
"Anrufen? Schule?"
"Nein, mich anrufen. Nach 14 Uhr erreichen Sie in der Schule niemanden mehr. Er soll mich anrufen und mir sagen, wie lange er krankgeschrieben ist."
"Ok. Sage ich. Danke Frau Feynberg."
Abdul hat sich bis jetzt nicht gemeldet.

In der zweiten Pause rufe ich Nafisa an. Pausen werden einfach überbewertet. Auch sie ist nicht erschienen. Weder gestern noch heute. Weder gestern noch heute gab es eine Meldung. Mittlerweile haben wir nach 11 Uhr. Nafisas Handy ist aus. Die freundliche Dame teilt mir mit, dass der Anrufer per SMS benachrichtigt wird. Die einzige Handynummer, die ich von der Mutter habe, funktioniert genauso wenig. Zu Hause geht auch keiner dran. Na super. Wenn es so weitergeht, muss ich vorbeifahren. Ätzend. Wenigstens sind alle anderen da. Heute sogar alle pünktlich. Gestern habe ich die erste Stunde mit der Hälfte der Klasse begonnen.

Um 16 Uhr nochwas klingelt meint Handy. Nur einmal. Nafisa lässt klingeln. 
"Hallo?"
"Nafisa! Wo steckst du?"
"Was schreien Sie so? Ich bin krank! Vooooll die Kopfschmerzen. Und ich musste sogar dreimal kotzen. Sind so eklige Stückchen rausgekommen."
"Sehr interessant... Und warum hast du dich Montag früh nicht gemeldet? Ich muss wissen, wo ihr seid!"
"Hab ich! Schwöre!"
"Du brauchst nicht zu schwören, sondern dich nur pünktlich abmelden! Ist es denn zu viel verlangt??"
"Ich hab angerufen. Auf Ihrem Handy, aber da war keiner!"
"Wie?? Da war keiner?"
"Ist Ihr Handy vielleicht kaputt? Ich hab gestern den gaaanzen Tag angerufen. Die Nummer auf der Liste. Ist doch Ihre?" Nafisa diktiert mir die Nummer. Sie stimmt.
"Nafisa, mein Handy ist absolut in Ordnung! Du kannst gestern gar nicht den ganzen Tag angerufen haben!"
"Dooooch! Und dann noch Sekretariat! Was machen Sie für Filme? Blockbuster, ey! Das ist doch alles vorgeplant! Warum soll ich Sie anrufen? Was soll's bringen? Damit Sie mich mit Ihren Fragen voll knechten??"