Mittwoch, 7. August 2013

Endlich mal ein normaler Mensch!


„Zwischen Bafög und Rente sollte wenigstens ein kleines Stück Arbeit liegen.“
Unbekannt

"Mrs. Johnson! Haben Sie diese Drecksgewitter gehört? In der Nacht? Aaaaler, meint die es ernst?"
"Wer die, Serkan?"
"Gewitter!"
"Das Gewitter. Mist, habe vergessen zu fragen, ob das Gewitter es ernst meinte... Wenn ich das Gewitter also noch einmal treffen sollte, hole ich die Frage nach."
"Boah, ich mach nur ein Fehler und Sie veranstalten hier Show. Wenn ich die ganze Zeit zu Ihnen gucken würde, würde ich auch voll viele Fehler bei Ihre Sprache entdecken! Übertrieben... Ok, egal. Aber heute wird auch Gewitter. Sagt mein Iphone."
"Na dann... Unterhalten wir uns doch lieber über das Praktikum." Fragender Blick. Serkan weiß gar nicht, was ich von ihm möchte.

"Ihr solltet euch bereits in den Ferien einen Praktikumsplatz suchen und dieses spätestens heute angeben. Warst du erfolgreich?"
"Nein..."
"Serkan! Sechs Wochen Zeit!"
"Ja, was kann ich dafür?"
"Für die sechs Wochen kannst du in der Tat nichts, die wurden so festgelegt. Aber für deine Faulheit kannst du wohl was!!"
"Wieso beleidigen Sie mich denn? Ich will unbedingt bei Kindergarten machen und die sagen alle, die wollen keine Praktikanten."
"Gerade in Kindergärten ist es supereinfach einen Platz zu bekommen, du musst dich nur etwas anstrengen! In wie vielen Kindergärten hast du denn schon nachgefragt?"

"Gar nicht."
"Na siehst du!"
"Jaaa, aber Isabel hat gesagt, ist eh ohne Sinn. Die hat auch gefragt und die wollten nicht."
"Isabel, du willst dein Praktikum auch im Kindergarten machen??"
"Ja, ich liebe Kinder voll." Isabel nickt heftig.

"Mensch Leute, es gibt so viele tolle Berufe und euch zieht immer wieder zu denselben. Welche  aussergewöhnlichen Berufe kennt ihr denn noch? Vielleicht sammeln wir Ideen?!"
"Friseur."
"KFZ-Mechaniker."
"Krankenschwesterin."
"Leute! Ungewöhnliche Berufe bitte! Parthena?"
"Also meine Mutter ist Sekräterin. Wie heißt der Beruf?"
"Das ist Kauffrau für Bürokommunikation. Önder, war das eine Meldung?"
"Ja. Ey Parthena, hat deine Mutter eine Brille?"
"Nee..."
"Hä? Wie ist die dann Sekretärin? Geht doch gar nicht..." Das überhöre ich. Keine Zeit. Die brauchen alle Praktikumsplätze.


"Welche Berufe gibt es denn noch in euren Familien?"
"Mein Opa, der war irgendwas in der Fabrik..." Sehr präzise...
"Da müsste man genauer gucken, was er gemacht hat und wie der Beruf heißt."

"Die, die in Fabriken arbeiten, das sind doch immer Gastarbeiter, oder? Kann man sagen, Beruf 'Gastarbeiter'?"
"Nein, nein, nein, Mandy. Aber das erkläre ich euch ein anderes Mal." Oder gebe dir als Hausaufgabe auf, herauszufinden, wen man als Gastarbeiter bezeichnet.
Mandy fährt fort: "Mein Vater, der ist Zimmerer, aber ich weiß nicht genau, was das heißt."
"Kann das jemand erklären? Melina?"
"Ist das vielleicht jemand, der so an die Tür klopft und dann sagt: 'Haaallooo, Zimmer-Service?"
"Nicht ganz. Das ist jemand, der mit Holz arbeitet. Nennt mir doch mal drei Ausbildungsberufe. Isabel, wie wär's mit dir?"
"Pornostar, Zuhälter und Rechtsanwalt." antwortet Isabel total selbstbewusst. 

Ich komme nicht dazu, zu antworten, denn Roya schreit: "Mein Onkel, der ist Psychologe. Aber der arbeitet, nicht so wie die Tante, die immer herkommt, mit Kindern..."

"Schulpsychologin. Weiter..."
"Ja mein ich. Der arbeitet mit erwachsenen Menschen. Also wenn Sie Probleme haben, ich kann Termin machen."
"Cüs... Mit Erwachsenen?! Ey stell dir vor, da kommt so ein Mann, der ist 63. Und dein Onkel, der umarmt ihn dann so und sagt: 'Na, du Kleiner, wie geht's dir heute?" Die Klasse brüllt und Önder fühlt sich als Held.
"Aller, Önder, Junge, lach ma nicht so. Ein Psychologe ist der! Endlich ma ein normaler Mensch!" sagt Roya und scheint sehr stolz auf ihren Onkel zu sein.  
Nur wie hilft das jetzt bei der Praktikumsplatzsuche?!


Dienstag, 6. August 2013

Diese rothaarige, wa?

Lass dich nicht unterkriegen, sei frech und wild und wunderbar!

Astrid Lindgren (aus Pipi Langstrumpf)

"Ey, Mrs. Johnson, Sie sehen aus wie diese... diese Lady... wie heißt die Missgeburt nochmal?"
"Diese wer? Melina, du musst schon bisschen genauer werden!"
"Aaaler Mrs. Johnson! Sie haben ja gar kein Plan. Diese eine Mädchen aus dem Film- diese... Aschenputtel." Ich gucke auf mich runter und versuche zu verstehen, was an mir an Aschenputtel erinnert. Hose- nein. Turnschuhe- nein. Vielleicht roter Nagellack? 
Melina bemerkt die Fragezeichen in meinem Gesicht. "Wegen Ihre Zöpfe!"
"Ah so, wegen der Zöpfe! Dann meinst du vielleicht Pipi Langstrumpf!"
"Ja genau, so heißt die. Diese rothaarige, wa?"

Melina bereut das Gespräch sogleich, denn die gesamte Klasse lacht sich über sie kaputt.
"Mädchen, bist du behindert? Hättest mal bei Internet nachgeschaut, bevor du so dumme Fragen stellst!"
"Mrs. Joohnson! Haben Sie gehört? Abdul macht mich hier fertisch!"
"Nicht nett, Abdul! Aber es ist ein guter Punkt, den Abdul hier anpricht. Ihr müsst euch auf jeden Fall informieren, bevor ihr irgendwelche Inhalte verbreitet oder präsentiert. Das ist ja auch in der Schule immer wieder ein Thema. Deswegen sage ich auch immer, dass ihr die Quellen angeben sollt, die ihr benutzt!"
Abdul stellt sich vor mich. Irgendwie ist er über den Sommer größer geworden. "Mrs. Johnson! Ich bin die Quelle! Rufen Sie mich an, wenn Sie was wissen wollen. Sie haben ja meine Nummer!"

"Erst einmal möchte ich nur wissen, wie eure Ferien verlaufen sind. Was habt ihr unternommen?"
Pascal seufzt: "Wie unternommen. Gar nix hab ich gemacht. 6 Wochen Berlin. Geht."
"Warst du nicht mal Schwimmbad?", möchte Can wissen.

"Das heißt, warst du nicht mal in Schwimmbad!", bemerkt Mandy.
"Wenn ihr es genau wissen wollt, es heißt, warst du nicht mal iM Schwimmbad!"
"Wieso übertreiben Sie immer so, Mrs. Johnson?"
"Weil ich die Übertreibungswissenschaft studiert habe, Can. Und wirklich, Pascal. Warst du in den Ferien Schwimmen?"

"Doch war ich. Da, bei Columbiaschwimmbad."
Önder springt auf. "Columbia? Also das würde ich wiklich nicht empfehlen. Gehen Sie da niemals hin, Mrs. Johnson. Das Ding ist voll von Kanakenmenschen!"
"Danke für die Info. Möchtest du vielleicht Pascal noch etwas fragen?"
"Nein, ich möchte Sie noch etwas fragen. Waren Sie in Ferien wieder neue Air Max kaufen? Da, bei Ku'damm?"

Montag, 5. August 2013

Dissmaschine

„Homer ich höre deinen Sarkasmus bis in de Küche rüber und das obwohl die Spülmaschine läuft.“

Marge Simpson

Ich habe kaum geschlafen. Ich weiß auch nicht, warum. Hitze, Gedanken, Aufregung. Neues Schuljahr, neue Schüler, neue Kollegen. Früher konnte ich das noch: wenig schlafen und den nächsten Tag durchpowern. Heute: wenig Schlaf, Produktivität gleich null. Alt halt.
Ich habe also das Gefühl zu schlafwandeln, als ich zusammen mit Mrs. Smith die Klasse betrete. Mich weckt auch keiner. Erstmal nicht. Die sitzen alle da. Alle. Und unterhalten sich. Wie normale Menschen. Schlagartig werde ich wach. Irgendwie sind die süß. Irgendwie ist es schön wieder in der Schule zu sein. Außerdem haben wir heute nur einen kurzen Tag. Ich bin also motiviert und absolut aufgedreht.
"Was ist denn mit euch heute los? Wer seid ihr denn? Kennen wir uns?"
"Cüs, Mrs. Johnson, in Ferien Dissmaschine geworden oda was? Wie Sie uns dissen!"
Ich bin wieder da. Meine Schüler sind wieder da. Ich muss lächeln. Immer wieder.
Mrs. Smith hört nicht auf zu fragen, warum ich so gut gelaunt bin.

Wir haben neue Schüler. Eine neue 9te. Schüler, die sich genauso wie unsere "Alten", für die mehrheitlich praktische Schulform entschieden haben. Die gucken noch ziemlich verunsichert und warten gespannt, was jetzt passiert. Nach paar Begrüßungsworten geht's los.
"So, Ihr Lieben. Einmal aufstehen zum Kennenlernen!"
"Hass des Grauens!" ruft Önder aus und ich fühle mich wieder wie zu Hause. "Wieso denn Aufstehen? Ich stand schon die ganzen Ferien voll viel. Ich wurde von meiner Mutter geknechtet. Mach dies, mach das. Küche und so. Wenn die mich wenigstens zahlen würde! Die denkt auch, die ist Chef. Ich kann doch allen auch so 'Hallo' sagen, wenn ich sitz!" Er dreht sich zu Ebo um und schreit: "Ey, du Knecht. Willkommen bei uns! Wenn du Probleme hast, sagst du Bescheid!"
Ebo weiß überhaupt nicht, was er antworten soll. Ist auch zugegebenermaßen nicht ganz einfach.
"Önder! Du sollst ihn nur begrüßen und ihn nicht gleich beleidigen!"
Önder will es nicht verstehen und fragt Ebo: "Ebo, gib ma zu, du warst nicht beleidigt?! War nur ein Witz. Macht man mit dir oft Witze? Sei ma nicht sauer, Ebo. Wir machen hier über alle Witze."
Wie beruhigend... Jetzt fühlt sich Ebo gleich viel wohler in der Klasse!

Nachdem das Witzemachen legitimiert wurde, veranstalten Mrs. Smith und ich ein Kennenlernspielchen. Fragen, Antworten, mehr übereinander erfahren. Und es funktioniert! Sie reden miteinander, hören einander zu, wir hören keine einzige Beleidigung. Der Lieblingstag von Can ist Wochenende. Serkans Bruder ist vom Beruf Geschäftsmann, seine Schwester ist vom Beruf verheiratet. Melina kennt nur einen deutschen Schriftsteller, nämlich Astrid Lindgren. Parthena möchte von Timm wissen, ob sie die Haare lieber offen oder in einem Zopf tragen soll. Magda ist der Überzeugung, dass Google nicht alles weiß, aber Mirko weiß es besser. Denn Google kennt sogar Brutos Brutaloz. Ich kenne ihn nicht. In Mirkos Augen weiß ich also auch nicht alles, wenn ich Brutos Brutaloz, den überbekannten Rapper nicht kenne.
Es läuft. Das sind eben die wichtigen Dinge, die man wissen muss, um sich kennenzulernen.

Vielleicht sind sie erwachsener geworden? Erwachsener, als letztes Jahr? Schließlich sind wir in der 10. 

Nach der kleinen Auseinandersetzung mit Önder freue ich mich, wieder in der Schule zu sein. Und Mrs. Smith fragt mich wieder, warum ich so gut gelaunt bin.