Donnerstag, 6. September 2012

Man sieht sich immer zweimal im Leben


„Rückzug aus dem aktiven Geschäftsleben heißt: Einkommen-Steuer zahlen ist nur noch ein Zuschauer-Sport.“
Unbekannt

Irgendwie ist mir in den letzten Tagen nicht nach täglichen Tagebucheintragen. Entweder, weil gerade echt viel zu tun ist und mir am Abend die Kraft dafür fehlt oder aber, weil es mir gerade gut geht. Ich bin raus aus der normalen Klasse mit 26 Schülern, die man eigentlich alle nach einem jeweils anderen Niveau unterrichten muss. Das "Jeden-Tag-Auskotzen-Bedürfnis" ist weg. Ich habe jetzt nur noch die Hälfte und gucke, dass sie viel praktisch machen. Ok, die 13 sind geballte Ladung Ignoranz, Faulheit, Provokation und Schuleohnesinn-Einstellung. Aber sie sind weg von dem Normalweg Schule und wir versuchen sie individuell zu betreuen und hoffen, dass bald die Schulemitsinn-Einstellung kommt. Weil sie hoffentlich begreifen, warum sie etwas lernen müssen. Weil sie verstehen, dass man am Arbeitsplatz auch Mathe, Deutsch und Englisch braucht und ohne höflicher Artikulation nicht weit kommt. Es macht Spaß und es fühlt sich richtig an. Richtig, weil diese Jugendliche hier eine Chance erhalten.

Trotzdem sind wir vom Paradies noch weit entfernt. Can hat den Satzbau in Englisch auch in der 9. Klasse noch nicht drauf und braucht eigentlich Privatunterricht. Die richtige Schreibweise der Fremdwörter kann man vergessen oder sehr viel Optimismus an den Tag legen. Timm kämpft mit der Flächenberechnung. Antonio schläft im Unterricht, weil er am Vortag bis 1.00 Uhr morgens im Fitnessstudio war. - "Was schlimm? Meine Mutter weiß doch! Ich will doch Athletiker werden." Auch die Umgangsformen und die Alltagsbegebenheiten wollen noch nicht so, wie man es eigentlich verlangt. Önder hat da einen recht langen Weg vor sich. - "Was labberst du, du Spasst? Mit 21 ist miesspät zum Heiraten, meine Oma hat schon mit 14 geheiratet! Und? Ich schwör, die hat gutes Leben! Und kann auch nicht Deutsch sprechen! Jetzt hab ich's dir gegeben. Korb oder Korb?"

Die Jugendlichen sind das Eine. In dem Gefüge Schule gibt es aber noch eine andere Seite. Nämlich die der Senatsverwaltung und der Bildungspolitik. Sonderpädagogen, die an mehreren Stellen gleichzeitig sein müssen. Die einen machen die Diagnostik, die anderen beobachten die Schüler im Unterricht. Und nun versuch mal, alle Teile zusammenzukriegen und die nötige Hilfe für den Schüler zu gewährleisten. Richtig- unmöglich! Aber sowas von! Aber ja, beschließen wir doch noch mehr Reformen, sparen Geld und ignorieren unser massives Bildungsproblem. Heute habe ich gelesen, dass mehr Quereinsteiger für die Mangelfächer Naturwissenschaften eingestellt werden müssen. Genau das brauchen wir- unqualifizierte Fachkräfte für unsere Schüler, die still dasitzen, zuhören und nach mehr Lernstoff fragen! Alle anderen Schüler, solche, die bei uns die Schulbank drücken, wird ein Quereinsteiger nicht mal einen Tag unterrichten können. Ich frage mich bloß, welcher Quereinsteiger sich freiwillig heutzutage in eine Schule in Berlin begeben soll, aber das ist noch eine andere Frage... Förderkinder, die ohne anerkannten Status genau wie die anderen Kinder in der großen Gruppe beschult werden müssen. Änderungen, die vorgenommen werden, ohne über Konsequenzen nachzudenken. So wird zum Ende der 9. Klassen ab diesem Schuljahr eine Prüfung eingeführt. Wer diese nicht besteht, kann im nächsten Jahr nicht mehr zum MSA zugelassen werden. Was machen die Schüler, die diese Prüfung nicht bestehen? Haben  die gar keinen Abschluss oder nur einen (ehemaligen) Hauptschulabschluss? (Den Abschlüssen hat man jetzt auch mal kurz andere Namen gegeben- klingt wahrscheinlich bildungsnäher. So richtig ist nämlich noch keiner informiert. Wozu auch? Wird schon irgendwie, so wie alles bisher. Dann verpflichtet man kurz mal alle Lehrer zu weiteren sinnlosen Fortbildungen, um dann zu sagen: "Hey, was wollt ihr? Wir machen doch was für die Lehrer!" Nach paar Jahren lässt man die Schulinspektion kommen, um die Ergebenisse zu evaluieren (Hasswort!!!), diktiert den Schulen paar Auflagen und fertig ist die Bildungsmisere!

Jedenfalls gibt es noch eine Menge zum Meckern. Aber mir geht's gut. Ich bin glücklich mit meinem praktischen Projekt, mit dem anderen Weg. Wir werden in Zukunft immer mehr 'andere Wege' gehen müssen... Erst mal werde ich also nicht mehr regelmäßig schreiben, vielleicht ab und zu, wenn es was Spannendes gibt. Und vielleicht versuche ich mich an einem Buch. Ist zwar eine Riesenherausforderung, aber bekanntlich stehe ich ja auf Herausforderungen...

Und man sieht sich garantiert ein zweites Mal...

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