Montag, 16. April 2012

Endlich wieder Schule


“Unsere Zeit ist so aufregend, dass man die Menschen eigentlich nur noch mit Langweile schockieren kann.”

Samuel Beckett

Als Schülerin dachte ich immer, Lehrer freuen sich nicht so sehr über die Ferien. Zumindest nicht so, wie die Schüler. Heute kann ich sagen, Lehrer freuen sich noch mehr. Sie können es kaum erwarten und träumen in den letzten beiden Wochen nur noch von der schulfreien Zeit. Im Gegensatz dazu, bin ich bei meinen Schülern da gar nicht mal so sicher. Die meisten fahren nicht weg, sondern bleiben in Berlin. Die Ferien verbringen sie dann vor dem Fernseher oder vor einer Spielkonsole. Langweile pur.

Sehr auffällig. Ich gehe die Treppe hoch, zum Klassenraum. Keiner von meinen Spezies springt auf der Treppe, keiner steht vor dem Raum, keiner schreit, keiner schubst. Alles leise. Ich stehe vor der Tür. Alles leise, in der Klasse brennt kein Licht. Schwänzen sie alle? Haben die sich verlaufen oder die Klasse nicht gefunden? Ich beschließe doch mein Glück zu versuchen. Ich drücke also die Türklinke. Die Tür öffnet sich. Alle Schüler sitzen mucksmäuschenstill auf ihren Plätzen.
- “Cüs, Mrs. Johnson! Wie haben Sie uns gefunden???” War nicht soooo schwer, ehrlich gesagt.

Erstes positives Erlebnis heute morgen: Dejan saß auch zu dem Zeitpunkt in der Klasse. Total pünktlich, sogar 10 Minuten vorm Klingeln, wie mir später berichtet wurde. Eigentlich selbstverständlich. Aber nicht für Dejan und für viele andere aus meiner Klasse auch nicht. Ich bin noch nicht dahinter gekommen, ob man für selbstverständliche Dinge loben  oder es lassen sollte. In diesem Fall habe ich es einfach gemacht.
“Sehr schön, dass du gleich am ersten Tag pünktlich kommst! Ich hoffe doch, dass es ab jetzt immer der Fall sein wird?!”
- “Inshallah. Was haben Sie in Ferien gemacht? Schwören Sie, war schwer für Sie zwei Wochen ohne mich?!” Hmmm, ja.

“Guten Morgen Melisa, wie waren deine Ferien?”
- “Waren normal und Ihre?”
“Meine waren sehr schön, danke!”
- “Sie haben es gut! Eigentlich waren meine langweilig. Immer so und so.” Keine Ahnung, was du mit ‘so und so’ meinst, aber ich habe es wirklich gut….
- “Also, mir war gar nicht langweilig!” Nafisa guckt auf einmal total traurig. “Immer wenn Ferien sind, muss ich oberviel machen. Geschwister kümmern, kochen, sauber machen. Schule ist besser.” Ja… wir haben ganz viele Mädchen, die den ganzen Haushalt schmeißen müssen und aus diesem Grund keine Zeit mehr für Schularbeiten haben. Die Rollenverteilung in diesen Familien ist doch ziemlich verschoben.
- “Schuuu, Mrs. Johnson!”
“Auch dir guten Morgen, Djamal!”
- “Guten Morgen. Ich habe Sie mit Ihre Bruda in Ferien, in Ku’damm gesehen.” Ich gucke etwas verwundert. Also fragt Djamal vorsichtshalber noch einmal nach. “Sie haben doch ein Bruda? So ein großer.”
“Ja, habe ich. Es kann gar nicht sein, ich war nämlich fast die ganzen Ferien über vereist.”
Djamal fängt an, hysterisch zu lachen. - “Aller, Mrs. Johnson, ich hab Sie verarscht! War nur Witz!” Riesenwitz.

Plötzlich rennen Deniz, Dejan und Umut in die Klasse. Sie schreien und krümmen sich vor Lachen. Dass sie einige Minuten zu spät sind, scheint sie nicht zu interessieren.
- “Mrs. Johnson!!” Umut bekommt kaum ein Wort raus, weil er immer wieder lachen muss. Die übrige Klasse wird natürlich angesteckt. Oh nein, die werden sich jetzt die ganze Stunde kaputtlachen und sich nicht mehr einkriegen können. Tschüss, geregelter Unterricht.
“Ja?”
- “Mrs. Johnson! Da geht was auf Jungentoilette! Da ist ein Mädchen in Kopftuch auf Jungenklo! Stellen Sie sich vor! Und die kackt!”
“Jungs, jetzt beruhigt euch mal und erzählt keinen Quatsch! Seht ihr Gespenster?”
- “Mrs. Johnson, ich schwör, die hat da gekackt!”
- “Aller, bist du dumm? Die kackt immer noch! Gehen Sie ma riechen, dann glauben Sie uns! So ein Missgeburt!”
“Wenn schon, dann die. Also die Missgeburt, weil zu diesem Wort der Artikel ‘die’ gehört!”
- “Mrs. Johnson! Ich bin geschockt. Was bringen Sie uns für Wörter bei?? Bessern Sie sich!”
“Besser’ du dich doch!” Schweigen.
“Um zurück zu euerer Frage zu kommen. Nein danke, ich möchte nicht riechen, sondern mit dem Unterricht anfangen!”
- “Abooou, warum machen Sie so? Erster Tag Schule. Geht nicht bisschen chillen?”
- “Mrs. Johnson, allerletzte Frage. Bitte”
“Ja Lukas, sprich dich aus!”
- “Wann sind Sommerferien?”
“Gute Frage.” Lukas guckt mich mit ganz großen Augen an. So, als verstehe er die Welt nicht mehr. “Bis dahin dauert es noch ganz ganz lange!”

Nach der Schule vergesse ich öfters mein Handy, wieder auf ‘laut’ zu stellen. Gegen 16 Uhr gucke ich drauf und sehe: 4 Anrufe in Abwesenheit von der Mutterdiemanmeidensollte. Ich überlege, was denn passiert sein könnte. Ist er abgehauen? Hat sich mit jemandem geschlagen? Ist möglicherweise etwas auf dem Nachhauseweg passiert? Ich rufe also zurück.
- “Hallo, Mrs. Johnson. Danke, dass du zurück anrufst, meine Süße! Wie war Dejan heute in Schule?” Kotz.

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