Lass gucken, Schlägerei!

„Behandelt jeden Menschen nach seinem Verdienst, und wer ist vor Schlägen sicher?“ 

William Shakespeare (Hamlet)

Große Pause. 20 Minuten im zivilisierten Lehrerzimmer. Heiliger Raum. Es klopft. Verdammt, auch Lehrer haben ihre Pause! Na gut, ich will ja nicht so sein und mache die Tür auf. Murat steht vor der Tür.

„Mrs. Johnson, was machen wir gleich in Geschichte?“

- „Deswegen klopfst du hier an??? Was Langweiliges wie immer, das weißt du doch!“ Ich schließe ihm die Tür vor der Nase zu. Es vergehen 3 Minuten. Höchstens. Es klopft. Kann ja immer was passiert sein. Ich mache die Tür zum zweiten Mal auf.

-“Ist Herr Meyer hier?“

„Nein.“

- „Wo ist er??

„Du wirst es nicht glauben, aber er meldet sich nie bei mir ab!“

- „Hä?“

„Er sagt mir nie, wo er hingeht!“

- „Hä?“

„Ich habe keine Ahnung, wo Herr Meyer ist.“

- „Ah. Danke.“

Endlich Unterricht in meiner Klasse. Absolut ernst gemeint. Ich mag sie ja. Alles wie immer. 

- „Wie? Haben wir jetzt Geschichte? Aber auf meinem Stundenplan steht Berufskunde!“ - „Er hat mein Blatt geklaut!“ - „Wissen Sie, ich mach zu Hause acht Stühle in die Reihe und dann habe ich meinen eigenen Bus! Und dann bin ich voll aufgeregt, wenn ich mich auf die Stühle setze und denk so, ey Hauptsache Station nicht verpassen!“ Aber sonst ist bei dir alles in Ordnung?!

Alles fing harmlos an, so wie immer eigentlich. Can spielte mal wieder den Clown und Justin ging es wieder mal auf die Nerven.

- „Gucken Sie, Mrs. Johnson, ich habe ein Tuch!“ Das ist ja nicht zu übersehen, wenn du ihn ganz um deinen Kopf gewickelt und die Brille auf das Tuch gesetzt hast! In den nächsten zehn Minuten ist Can nur mit seinem Schal beschäftigt. Er faltet, streichelt und zieht ihn in allen möglichen Varianten an. Das Prachtstück muss neu sein. Ab und zu sagt er: „Ich lieeebe mein Tuch!“ Das äußert er allerdings sehr leise. Zum Glück hören die anderen es nicht! Mir soll es recht sein, Hauptsache er stört nicht. Ich habe mich zu früh gefreut, denn plötzlich meldet sich Justin zu Wort, der bisher 'nur' mit seinen Nachbarn beschäftigt war.

- „Can, du kleine Missgeburt, pass' lieber im Unterricht auf!“ Aber du.

Selbstverständlich antwortet Can sofort: -„Halt die Schnauze, wer hat dich denn gefragt?“

- „Ich frag mich selba, du Bowlingkugel. Und ich soll dich von Mandy fragen, ob dein Friseur blind ist. Du siehst scheiße aus!“ Bowlingkugel. Habe ich noch nie gehört.

- „Halt die Fresse, wenn du mit mir redest!“ Hä? Wie meinst du das bitte?

Ich schaffe es, die beiden zu beruhigen. Dies ist mittlerweile keine Herausforderung mehr. Alltagsgeschäft. Wir haben eine Doppelstunde. In der 5-Minuten-Pause wage ich es, auf Toilette zu gehen. Ein schwerer Fehler. Zurück im Raum finde ich einen Kreis vor. Auch Todeskreis genannt. In der Mitte prügeln Can und Justin aufeinander ein. Cans Brille liegt auf dem Boden und er kämpft schon mit den Tränen. Um die beiden steht der Rest der Klasse und feuert sie an. Oh scheiße, und jetzt? Ich habe echt Angst dazwischen zu gehen. Die tippen mich ein mal mit dem Finger an und ich bin weg. Irgendwie schaffen zwei große Jungs die Streithähne auseinander zu nehmen. Can heult, Justin grinst. Puh, noch mal gut gegangen, keine nennenswerten Verletzungen. Den Rest der Stunde versuche ich mit der Klasse darüber zu sprechen, wie man Konflikte löst und lasse die Kiddies Wut mit einem Vulkan assoziieren. Pädagogisches Schnickschnack. Was anderes fällt mir auf die Schnelle auch nicht ein. Die Ereignisse in Deutschland 1848 scheinen plötzlich zweitrangig. Doch Bekir zerstört meine Wir-reden-drüber-und-die-schlagen-sich-nie-wieder-Illusion. Einfach so. - „Wenn Schlägerei auf Hof, denke ich nicht, der ist wütend und bricht aus wie Vulkan. Denke ich: geil Schlägerei! Gehe ich gucken!“ Willkommen in der Realität, Mrs. Johnson!