Dienstag, 27. März 2012

Sie sind was anderes

„Der Andersdenkende ist kein Idiot, er hat sich eben eine
andere Wirklichkeit konstruiert.“

Paul Watzlawick


Abdul spaziert in die Klasse. So langsam, wie eine Schildkröte. Zur 4. Stunde. Wie selbstverständlich.
„Möchtest du mir vielleicht etwas sagen? ‚Entschuldigung’ wäre nett.“
- „Aller, wieso fahren Sie mich so an? Was kann ich dafür, wegen diese Scheißzeitumstellung?“
„Diese Ausrede hattest du schon gestern. Außerdem haben wir bereits seit zwei Tagen die neue Zeit!“
- „Was Ausrede? Wenn meine Mudda mir nix sagt, wegen diese Zeit??“
„Der Rest hat es komischerweise mitbekommen. Und ich habe es geschafft, pünktlich zu sein!“
- „Ja... bei Sie... is ja auch was anderes...“ Ich gebe es auf.

Von meinem Unterricht hatte ich heute nicht viel, denn in der Stunde davor gab es Aufregung. Bülent und Murat haben in der Kunststunde einander erzählt, wie schlimm die jeweils andere Mutter ist. Was sie alles mit der jeweils anderen Mutter machen könnten, wie viele Männer die andere Mutter schon hatte und wen sie wie in den Allerwertesten f****. Alles war Spaß, natürlich. Bis Bülent bei einer -wohl sehr schlimmen Beleidigung seiner Mutter- aufgesprungen ist und Murats Kopf gegen den Tisch geknallt hat. Einfach so. Innerhalb von wenigen Sekunden. Ich muss wieder eines dieser ‚Deine-Mutter-Gespräche’ führen. Verdammt. Passt mir gerade nicht. Das wahre Opfer hier, bin doch ich!! Ich stelle mich also vor die Klasse und halte wieder meine Moralapostelreden. Bülent und Murat sitzen zwar nebeneinander, aber drehen sich demonstrativ voneinander weg.  Ich verstehe das ja wirklich nicht, ich muss nicht mal schauspielern. Wenn man doch weiß, wie die eigene Mutter drauf ist, warum reagiert man dennoch drauf? Alles leere Worte. Als würden sie wirklich irgendeine Mutter ficken. (Sorry) Das will die Klasse natürlich überhaupt nicht einsehen. Außer Umut.
- „Ey, wenn du guter Moslem bist, sagst du sowas nicht. Du sagst dann einfach: ‚geh mal weg von mir’.“ Hmm, interessante Info.
- „Stellen Sie sich vor, Herr Maier sagt sowas über Ihre Mutter! Das ist übertreiben ehrenlos! Sie würden doch ausrasten?!“
„Nein, würde ich nicht. Ich würde erst gar nicht hinhören, weil ich ja weiß wie meine Mutter drauf ist. Abgesehen davon, unterhalten Herr Maier und ich uns nicht wirklich auf diesem Niveau.“
- „Ja sehen Sie? Bei Ihnen ist was anderes!“ Auch hier gebe ich es auf.

Später unterhalte ich mich mit einer älteren Klasse über das Thema Integration. Es stellt sich raus, dass ich die einzige im Raum bin, die nicht in Deutschland geboren wurde. Und die einzige, die sich nicht als 'Ausländer' ansieht. Alle anderen bezeichnen sich als Türke, Syrier, Kroate, Libanese, Kurde... Alles, nur nicht deutsch. Einige wenige träumen sogar davon, irgendwann wieder in dem Land zu leben, aus dem ihre Eltern oder Großeltern emigriert sind. "Weil es da so schön ist." Warum sind deine Eltern aus 'deinem' Land noch mal geflüchtet?
- „Mrs. Johnson, wussten Sie schon? Bald gibt’s neue Weltkarte. Mit Kurdistan. Stellen Sie sich vor, Flughafen mit McDonalds in Kurdistan? Wie geil das wäre??!!“
- „Gibt’s eine Türkenstraße in Berlin? Muss geben!“ Ramin sitzt mit einem Papierflieger (wahrscheinlich soll es einer sein) da und macht Fluggeräusche. Der sieht aber eher aus wie eine angeschossene Fliege.
„Ramin, was machst du da?“
- „Ich fliege mit diese Fliege in Türkei!“
Wir diskutieren ziemlich lange. Über das Erlernen der deutschen Sprache, arbeiten, annehmen der deutschen Gesetze. Zwischendurch fällt mir ein, ich wollte ja einen Termin mit Betüls Mutter vereinbaren!
„Übrigens, Betül, hat deine Mutter ihrer Mailbox abgehört? Ich habe ihr eine Nachricht hinterlassen.“
- „Mrs. Johnson, Ausländer haben keine Mailbox!“
„Seit wann denn das? Ich habe eine!“
- „Sie sind ja auch Lehrerausländer. Is was anderes.“
Die Meinungen sind ziemlich gespalten. Ich erzähle meinen Schülern die Geschichte meiner Eltern. Dass sie beide sehr gut Deutsch sprechen, sich in Deutschland adaptiert haben und relativ schnell nach unserer Ankunft angefangen haben, zu arbeiten. Als Antwort darauf bekomme ich : - „Ja ... Ihre Familie, das ist ja was anderes ...“ Vielleicht haben Sie Recht.

6 Kommentare:

  1. Das grösste Problem scheint wirklich, dass der Großteil der Eltern wohl aus Hinteranatolien stammt und dementsprechend auch über die schon begrenzte Bildung und Wissen, was sich über Generationen weitergetragen hat. Pauschalisieren kann man das natürlich nicht, aber das bäuerliche Niveau kann man kaum ausblenden. Leider.

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    1. Pauschalisieren möchte ja auch keiner. Von 26 Müttern meiner Klasse können 2 nur wenige Worte Deutsch. 2 weitere können sich gaaanz langsam verständigen. Nach vieeelen Jahren in Deutschland. Bildung hin oder her. Wie schafft man es Jahre in einem Land zu leben, ohne wirklich die Sprache zu beherrschen?

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    2. Das schon grob. Scheint nie der Bedarf nach "Integration" in dem Sinn dagewesen zu sein. Und der Wille wohl auch nicht. Heimchen am Herd und Versorgung innerhalb ihres Viertels mit all dem Nötigen beim Landsmann. So zieht sich das ohne Probleme über Jahrzehnte. Resultat: gebrochen Deutsch oder garkeine Kenntnisse.

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    3. Wie sagt man so schön? Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Nicht wahr?

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  2. Sehen sie bloß davon ab, harten Alkohol im Haus zu haben. Irgendwann muss doch auch Ihre Frustationsschwelle überschritten sein...

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