“Unsere Zeit ist
so aufregend, dass man die Menschen eigentlich nur noch mit Langweile
schockieren kann.”
Samuel Beckett
Als
Schülerin dachte ich immer, Lehrer freuen sich nicht so sehr über die Ferien. Zumindest
nicht so, wie die Schüler. Heute kann ich sagen, Lehrer freuen sich noch mehr.
Sie können es kaum erwarten und träumen in den letzten beiden Wochen nur noch
von der schulfreien Zeit. Im Gegensatz dazu, bin ich bei meinen Schülern da gar
nicht mal so sicher. Die meisten fahren nicht weg, sondern bleiben in Berlin.
Die Ferien verbringen sie dann vor dem Fernseher oder vor einer Spielkonsole.
Langweile pur.
Sehr
auffällig. Ich gehe die Treppe hoch, zum Klassenraum. Keiner von meinen Spezies
springt auf der Treppe, keiner steht vor dem Raum, keiner schreit, keiner
schubst. Alles leise. Ich stehe vor der Tür. Alles leise, in der Klasse brennt
kein Licht. Schwänzen sie alle? Haben die
sich verlaufen oder die Klasse nicht gefunden? Ich beschließe doch mein
Glück zu versuchen. Ich drücke also die Türklinke. Die Tür öffnet sich. Alle
Schüler sitzen mucksmäuschenstill auf ihren Plätzen.
-
“Cüs, Mrs. Johnson! Wie haben Sie uns gefunden???” War nicht soooo schwer, ehrlich gesagt.
Erstes
positives Erlebnis heute morgen: Dejan saß auch zu dem Zeitpunkt in der Klasse.
Total pünktlich, sogar 10 Minuten vorm Klingeln, wie mir später berichtet
wurde. Eigentlich selbstverständlich. Aber nicht für Dejan und für viele andere
aus meiner Klasse auch nicht. Ich bin noch nicht dahinter gekommen, ob man für
selbstverständliche Dinge loben oder es
lassen sollte. In diesem Fall habe ich es einfach gemacht.
“Sehr
schön, dass du gleich am ersten Tag pünktlich kommst! Ich hoffe doch, dass es
ab jetzt immer der Fall sein wird?!”
-
“Inshallah. Was haben Sie in Ferien gemacht? Schwören Sie, war schwer für Sie
zwei Wochen ohne mich?!” Hmmm, ja.
“Guten Morgen Melisa, wie waren deine Ferien?”
-
“Waren normal und Ihre?”
“Meine
waren sehr schön, danke!”
-
“Sie haben es gut! Eigentlich waren meine langweilig. Immer so und so.” Keine Ahnung, was du mit ‘so und so’ meinst,
aber ich habe es wirklich gut….
-
“Also, mir war gar nicht langweilig!” Nafisa guckt auf einmal total traurig.
“Immer wenn Ferien sind, muss ich oberviel machen. Geschwister kümmern, kochen,
sauber machen. Schule ist besser.” Ja… wir haben ganz viele Mädchen, die den
ganzen Haushalt schmeißen müssen und aus diesem Grund keine Zeit mehr für
Schularbeiten haben. Die Rollenverteilung in diesen Familien ist doch ziemlich
verschoben.
-
“Schuuu, Mrs. Johnson!”
“Auch
dir guten Morgen, Djamal!”
-
“Guten Morgen. Ich habe Sie mit Ihre Bruda in Ferien, in Ku’damm gesehen.” Ich
gucke etwas verwundert. Also fragt Djamal vorsichtshalber noch einmal nach.
“Sie haben doch ein Bruda? So ein großer.”
“Ja,
habe ich. Es kann gar nicht sein, ich war nämlich fast die ganzen Ferien über
vereist.”
Djamal
fängt an, hysterisch zu lachen. - “Aller, Mrs. Johnson, ich hab Sie verarscht!
War nur Witz!” Riesenwitz.
Plötzlich
rennen Deniz, Dejan und Umut in die Klasse. Sie schreien und krümmen sich vor Lachen.
Dass sie einige Minuten zu spät sind, scheint sie nicht zu interessieren.
-
“Mrs. Johnson!!” Umut bekommt kaum ein Wort raus, weil er immer wieder lachen
muss. Die übrige Klasse wird natürlich angesteckt. Oh nein, die werden sich jetzt die ganze Stunde kaputtlachen und sich
nicht mehr einkriegen können. Tschüss, geregelter Unterricht.
“Ja?”
-
“Mrs. Johnson! Da geht was auf Jungentoilette! Da ist ein Mädchen in Kopftuch
auf Jungenklo! Stellen Sie sich vor! Und die kackt!”
“Jungs,
jetzt beruhigt euch mal und erzählt keinen Quatsch! Seht ihr Gespenster?”
-
“Mrs. Johnson, ich schwör, die hat da gekackt!”
- “Aller,
bist du dumm? Die kackt immer noch! Gehen Sie ma riechen, dann glauben Sie uns!
So ein Missgeburt!”
“Wenn
schon, dann die. Also die Missgeburt, weil zu diesem Wort der Artikel ‘die’
gehört!”
-
“Mrs. Johnson! Ich bin geschockt. Was bringen Sie uns für Wörter bei?? Bessern
Sie sich!”
“Besser’
du dich doch!” Schweigen.
“Um
zurück zu euerer Frage zu kommen. Nein danke, ich möchte nicht riechen, sondern
mit dem Unterricht anfangen!”
- “Abooou,
warum machen Sie so? Erster Tag Schule. Geht nicht bisschen chillen?”
-
“Mrs. Johnson, allerletzte Frage. Bitte”
“Ja
Lukas, sprich dich aus!”
-
“Wann sind Sommerferien?”
“Gute
Frage.” Lukas guckt mich mit ganz großen Augen an. So, als verstehe er die Welt
nicht mehr. “Bis dahin dauert es noch ganz ganz lange!”
Nach
der Schule vergesse ich öfters mein Handy, wieder auf ‘laut’ zu stellen. Gegen
16 Uhr gucke ich drauf und sehe: 4 Anrufe in Abwesenheit von der
Mutterdiemanmeidensollte. Ich überlege, was denn passiert sein könnte. Ist er
abgehauen? Hat sich mit jemandem geschlagen? Ist möglicherweise etwas auf dem
Nachhauseweg passiert? Ich rufe also zurück.
-
“Hallo, Mrs. Johnson. Danke, dass du zurück anrufst, meine Süße! Wie war Dejan
heute in Schule?” Kotz.
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