Dienstag, 28. Februar 2012

Bisschen Aufmerksamkeit und andere Nettigkeiten

“Aufmerksamkeit ist eine Währung, mit der ich mich auskenne.“

Marshall Mathers (Eminem)

In meiner Freistunde laufe ich zum Sekretariat und sehe Can, wie ein Häufchen Elend vor dem Schulleiterzimmer wartend. Wohl aus dem Unterricht geflogen. Ich gucke ihn schweigend an und warte. Auf was auch immer. Wahrscheinlich erhoffe ich mir doch eine Erklärung. Er guckt zurück. Wahrscheinlich weiß er nicht, was er dazu sagen soll. In solchen Situationen gibt es auch meistens nichts zu sagen. Na gut, dann fange ich mal an.
„Bauchschmerzen oder rausgeflogen?“
- „Hm.“
„ Mit ‚Hm’ ist meine Frage nicht beantwortet. Also?“
- „Ich muss hier warten, auf Direktor. Wegen Mathe.“
„Und was hast du angestellt, um diese Ehre zu erhalten?“
- „Nix.“
„Natürlich, nichts gemacht. Und warum schickt dich dann die Mathelehrerin zur Schulleitung?“
- „Weiß ich doch nicht. Nix gemacht hab ich. Nur, weil die dumm ist.“ Ich frage lieber nicht nach, wen er mit ‚dumm’ meint. 
"Mit euch braucht man Geduld in Eimern!!!"
- "Wieso? Nicht jeder Lehrer braucht Geduld. Es gibt auch nette Lehrer, so wie Sie." Ah so. Ok, diese Vernehmung ist zwecklos.

In der Klasse angekommen, gucke ich zuerst in mein Lieblingsbuch, das Klassenbuch. Ich finde einen Roman. Can mit dem und dem und dem. Gestört, nix gemacht, gestört, gestört. Immer dieses Verlangen nach Aufmerksamkeit der Mitschüler. Mittelpunktkomplex. Ich finde, dass ‚ADS’, also Aufmersamkeitsdefizitsyndrom auch für solche Situationen angewendet werden sollte. Irgendwie passt es. Nicht nur, wenn jemand keine 45 Minuten lang im Unterricht aufpassen kann und hyperaktiv ist. Warum versucht jemand durch Scheißebauen Aufmerksamkeit zu bekommen und warum achten die anderen nur auf Quatsch und feiern nicht jemanden, zum Beispiel wegen seiner guten Leistungen?! Mittlerweile sitzt der Star muckmäuschenstill da, wie der bravste Schüler überhaupt. Ok, er hat bereits Anschiss kassiert. Er muss Anschiss kassiert haben.


Eventuell auch die ganze Klasse. Irgendwie scheinen die heute überfreundlich zu sein.
- „Guten Morgen, Mrs. Johnson. Wie haben Sie heute geschlafen?“ Hä?
„Vielen Dank, ganz gut. Bisschen kurz, aber gut!“
- „Aber, Mrs. Johnson, wie oft habe ich Ihnen schon gesagt? Sie müssen früher schlafen. So ab acht.“ Christina tut besorgt. Schauspielerin sollte sie nicht werden.
„Mache ich. Aber nur, wenn du heute auch um acht schlafen gehst, morgen pünktlich aufwachst und überpünktlich in der Schule erscheinst. Zur ersten Stunde. Mit allen Materialien. Deal?“
- „Nee... Dann gildet es nicht.“ War ja klar. Schwache Leistung.
Dann springt Dejan auf. - „Ich bin so stolz für dich Christina, du hast so Scheißideen. Was das, früh schlafen?? Mrs. Johnson, ich kenne den krassesten Trick ever. Sie müssen Red Bull trinken, dann sind Sie gar nicht müde. Flügel undso. Aber Sie sind Playboy, Sie wissen Bescheid!“ Riesentrick. Und Playboy... wahnsinnig kreativ.

Dejan fährt fort, in seinem nicht zu unterbrechendem Redefluss.
- „Ey, Mrs. Johson, Sie MÜSSEN heute Sat.1 gucken. Da läuft diese Wanderpunktpunktpunkt. Kann ich das Wort sagen?“
„Seit wann bittest du um Erlaubnis? Meinst du die ‚Wanderhure’?“
- „Bin halt nett. Ja, ich hab Vorschau gesehen. Wie die ausseiht. Ich würd die vielleicht heiraten.“ Soweit ich informiert bin, gehören zu dieser Veranstaltung immer zwei. Plötzlich erwacht Can aus seiner Abstinenz.
- „Dürfen die ‚Hure’ im Fernsehen sagen? Wenn ich das sage, krieg ich sofort Strafe.“
Auch Tuncer ist auf einmal hellwach und fragt fast flüsternd: „Wieso heißt die dort Hure?“

Ich muss schnell das Thema wechseln.
„Apropos, heißen. Tuncer, du solltest doch als Hausaufgabe etwas aufschreiben.“ Ich habe den Namen Tuncer vorher noch nie gehört und möchte wissen, was er bedeutet. Arabische und türkische Namen bedeuten in den meisten Fällen etwas. Die Schüler wissen es nur selten. Außerdem spricht nichts dagegen, wenn jemand weiß, woher sein Name kommt und auf diesem Weg etwas über die eigene Geschichte erfährt.
- „Was? Warum ich im Unterricht ruhig sein soll?“
„Nein.“
- „Hä? Warum ich in der Klasse nicht rumrennen soll?“
„Nein.“
- „Was dann? Irgendwas mit Hausaufgaben?“
„Neeeeein. Du solltest doch deine Eltern fragen, woher dein Name kommt!“
- „Ah so. Das konnte ich nicht. Mein Internet ist jetzt bankrott.“
„Du solltest deine Eltern fragen, nicht im Internet nachgucken!!“
- „Ah so... ja, ich mach heute.“
„Dann kommen wir jetzt zu unserem Thema. Jeder ist ab jetzt ruhig und guckt zur Tafel!“
Nach paar weiteren Minuten, in denen alles andere als Ruhe herrscht und ich immer noch wartend vor einer tobenden Menge stehe, schreit Abdul: „Ey, seid mal ruhig, ihr Spassten, Mrs. Johnson braucht auch bisschen Aufmerksamkeit!“ Danke für diese netten Worte.




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