Mittwoch, 22. Februar 2012

Friedensverhandlungen


"Frieden wird nicht zwischen Freunden, sondern 

zwischen Feinden geschlossen."
Jitzchak Rabin
 

Ich komme in die Klasse rein und sehe zwei Gruppen, zwei sehr dynamische Gruppen.
Auf der einen Seite sind die Mädchen versammelt, auf der anderen das männliche Geschlecht der Klasse. Das riecht jetzt schon nach Ärger. Mittendrin sitzt Mandy. Verquollenes Gesicht, große Tränen und mindestens 3 Packungen verbrauchte Taschentücher, die sich vor ihr in einem Berg häufen. Um sie stehen alle anderen Mädchen. (Ich habe ja nicht so viele in der Klasse, deswegen ist die Jungenmenge um einiges riesiger.) Sie alle schauen Mandy mit einem seeehr schmerzvollen Blick an, tätscheln ihre Hand und versuchen sie zu beruhigen. Man könnte meinen, jemand sei gestorben.

Auf der anderen Seite Fatih mit den Jungs. Sie schreien alle durcheinander. Geschubse. Jeder will möglichst schnell und möglichst nah an Fatih kommen, um ihm die bestmögliche Variante für die Lösung des Konflikts zu unterbreiten. Diese Vorschläge will ich gar nicht hören. Fatih hat einen sehr Wütend-ich-schlag-hier-gleich-alles-kaputt-Bilck drauf. Hilfe.
Trotz der furchtbar angespannten Lage, gelingt es mir jeden zu seinem Platz zu bewegen und mit dem Unterricht anzufangen. Ich muss aber den beiden versprechen, nach der Stunde ein Gespräch mit ihnen zu führen. Meine schöne Pause... und Tschüss.

Nach nur 5 Minuten Unterricht, merke ich, dass Christina irgendetwas unterm Tisch macht. Es bedarf keines großen Detektives, um herauszufinden, dass sie SMS schreibt. Sie ist so vertieft, dass sie gar nicht merkt, wie ich bei ihr stehe und das Handy einfordere.
“Alles SMS verschickt? Alle benachrichtigt, dass du jetzt in der Schule sitzt? Jetzt kannst du ja mir das Handy geben!”
- „Bitte, nehmen Sie nicht ab. Ich schwör, ich pack weg!“
„Zu spät.“
- „Ok, darf ich noch SIM-Karte rausnehmen?“
„Natürlich nicht!“ Ich schnappe mir das Handy und fahre weiter mit dem Unterricht fort. Christina legt ihr Gesicht auf die Arme und hebt den Kopf nicht mehr, bis es klingelt.

Es klingelt. Christina will es noch mal versuchen.
- „Mrs. Johnson. Bitte bitte bitte. Krieg ich Handy wieder?“
„Nein. Kannst du in zwei Wochen abholen.“
- „Wie zwei Wochen? In echt? Aber was soll ich zwei Wochen machen ohne Handy? Und wenn meine Mutter mich anruft?“
„Dann kannst du ja deiner Mutter heute nach der Schule erklären, weshalb du ohne Handy nach Hause gekommen bist. Sie wird sich bestimmt freuen.“
- „Aber ich hab doch nur Uhr geguckt auf Handy!“
„Du guckst aber lange auf die Uhr! Seit wann braucht man 3 Minuten, um herauszufinden, welche Zeit die Uhr anzeigt? Sollen wir das noch mal üben, mit dem Uhrlesen?“

Plötzlich schaltet sich Dejan ins Gespräch ein: - „Aller, Mrs. Johnson, Sie haben doch IPhone-Handy. Hat Ihr Iphone Jailbreak? Brauchen Sie Cover? Ich besorge Ihnen für übertrieben gute Preis! Wollen Sie?”
„Ich will, dass du dir selbst ein paar gute Noten und Pünktlichkeit besorgst!!”
- „Hä?”
Gülcan möchte es nun auch genauer wissen.
- „Mrs. Johnson, haben Sie wirklich Iphone? Ich habe Sie Facebook gestalkt und wollte rausfinden!”
„So so, die Gülcan, spioniert mir nach…”
„Nein, ich schwör, nicht so! Ich hab mit Lukas in Chat bei Facebook über Sie gesprochen und wir haben so geredet. Hat sie Iphone oder nicht?”
- “Wissen Sie was, Mrs. Johnson? Meine Mutter hat gesagt, wenn ich gute Noten habe, krieg ich direkt Iphone!” Na wenn das keine Motivation für Gülcan ist, dann weiß ich auch nicht. Warum habe ich nie solche Sachen für guten Noten bekommen? Irgendwas habe ich falsch gemacht. Oder aber andersrum: meine Eltern alles richtig.

„Ha Ha Ha. Biiitttteee, Sie sind die netteste und beste Lehrerin auf diese Schule!“
„Hör auf zu schleimen und geh in die Pause. Die Antwort lautet immer noch NEIN!“
Christina dreht sich um. Ich höre, wie sie vor sich hin murmmelt: „Das werden Sie bereuen! Zieht die mein Handy ab. Is die scheiße. Ich hasse Lehrer, auch die!“ Hmmm, gerade eben war ich noch die netteste Lehrerin. Hab schon Angst.. Hier wurde heute kein Frieden geschlossen.

Die Schüler sind draußen. Nur Mandy und Fatih warten brav. Jeder an einem anderen Ende des Raumes. Mandy sieht aus wie ein Häufchen Elend. Fatih scheint sich auch beruhigt zu haben.
„Dann erzählt mal, was passiert ist.“ Mandy fängt an.
- „Diese Missgeburt hat mir die ganze Zeit meine Sachen geklaut und mich mit dem Buch geschlagen!“ Das arme Buch.
- „Was du labberst! Mrs. Johnson. Mandy hat angefangen. Sie sitzt ja hinter mir und die hat mir die ganze Zeit so Haare gezogen. Wie das nervt! Sie übertreibt. Und dann hat sie noch anderen erzählt, ich bin schwul. Bist du dumm?“ Meinen die es eigentlich ernst?? Ich verschwende meine Pause gerade, um irgendeinen Kinderkram zu klären??
- „Aber wenn du doch schwul bist! Mit Daniel. Gib zu, du stehst auf Daniel!“ Wenn er auf jemanden steht, dann offensichtlich auf dich, liebe Mandy!
- „Bin ich gar nicht. Gucken Sie, Mrs. Johnson, was die redet!!“ Ok, ich habe genug gehört. Ich muss mal die Situation auflockern.
„Also für mich sieht es nach 'was sich liebt, das neckt sich', aus.“ Ich lächele. Die Gesichter der beiden zucken nicht mal, bis Fatih sagt: „Hä? Was ist das für ein Satz?“
„Es ist ein Sprichwort. Eigentlich habe ich den Eindruck, dass ihr einander echt mögt. Könnt ihr nicht auf einem gesunden Weg die gegenseitige Aufmerksamkeit bekommen und nicht so? Damit wäre uns allen geholfen!“ Mandy wird leicht rot, gibt aber nicht nach.
- „Aller, Mrs. Johnson, ich hass den!“
- „Ich hass dich auch!“ Plötzlich fängt Fatih an zu lachen. Und auch Mandy lächelt.
„So, Kinder, vertragt euch! Und alles andere könnt ihr wohl alleine klären! Diesmal aber bitte friedlich!“ Die beiden geben sich die Hand. Es ging doch schneller, als ich dachte. Friedensverhandlung erfolgreich. Worum ging es hier eigentlich? Beide bewegen sich in Richtung Tür. Mandy dreht sich um.
- „Mrs. Johnson...“
„Ja?“
- „Die Stunde heute war voll schön.“

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