Montag, 16. Januar 2012

Schon nächste Woche Zeugnisse?


"Wir sind nicht nur für das verantwortlich, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun."
Molière

Nach der heutigen Doppelstunde in meiner Klasse ist mir eine tolle Idee gekommen. Jeder sucht doch ständig nach kreativen Geschenken mit viel Action und Nervenkitzel- Fallschirmsprünge, Paintball spielen oder außergewöhnliche Musikkonzerte. Warum kam eigentlich noch keiner auf die Idee, einen Unterrichtstag in einer Sekundarschulklasse zu verschenken? Da sind Nervenkitzel und Action garantiert, zum Beispiel wenn man zwischen dem Faustausholen und dem tatsächlichen auf die Nase geben sich überlegen kann, macht er es oder macht er es nicht? Ich gebe zu, nachdem man beim dritten Mal mit der Antwort richtig liegt, könnte es irgendwann langweilig werden. Und singen? Das können sie die ganze Stunde ohne Pause, manche sogar rappen und dabei auch noch tanzen. Vielleicht können wir uns dann von dem verdienten Geld mehr Lehrer leisten und kleinere Klassen bliden? Das wäre doch mal was!

So ihr Lieben, am Wandertag gehen wir ins Kino und schauen uns 'Ziemlich beste Freunde' an.“
- „Oh man, nix mit Erotik?“ Dejan scheint unfassbar enttäuscht zu sein.
So leid es mir tut, nein. Ich habe den Film aber schon am Wochenende gesehen und kann euch sagen, er ist ganz ganz toll.“
- „Haben Sie illegal auf kinox.to geguckt?“
Ich war im Kino.“
- „Is ja langweilig. Können wir nicht 'James Bond' sehen? Bester Film. Ah so, und was ich noch sagen wollte. Wir sind ja jetzt eine Migrantenklasse. Justin ist ja jetzt weg, der einizige Deutsche.“ Das ist so nicht ganz richtig, wir haben noch ein paar, aber in diesem Fall- Diskussion zwecklos.

Lukas, wo ist dein Buch?“
- „Keine Ahnung.“
Can ist entsetzt. „Also, ich verstehe das nicht. Man muss doch wissen, ob man ein Buch hat! Nimm dir ein Beispiel an mir!“
Dejan ist genervt. „Can, könntest du bitte dein Maul halten?“ Er fragt aber nett, da muss man sich glatt fügen.
Apropos, kein Buch dabei haben usw. Nächste Woche bekommt ihr ja Zeugnisse. Die sind zum Teil katastrophal. Von den Verspätungen und Fehlstunden rede ich schon gar nicht.“
Can ist entsetzt, Klappe die zweite: „Also, wirklich, warum habt ihr alle so schlechte Noten? Nehmt euch ein Beispiel an mir!“ Cans Zeugnis gehört zu den schlechtesten der Klasse.
Ich habe übrigens -wie angekündigt- auch die Verspätungen  zu den einzelnen Stunden im Laufe des Tages berücksichtigt, nicht nur die morgens.“
- „Boah, Sie machen ja unsere Zukunft kaputt.“ Natürlich, du kommst zu spät und ich zerstöre alles.
- „Was, schon nächste Woche? Wie ist denn mein Zeugnis?“ fragt Abdul.
Ich habe nicht alle Noten im Kopf, aber eher im unteren Bereich.“
- „Walla, wie soll ich Rechtsanwalt werden?“ Gute Frage. „Ihr Pulli ist heute so schön. Kriege ich jetzt eine 1? Eine 3 wäre auch gut, bitttteee, ich brauche eine 3!“
Keine Chance. Mach es im zweiten Halbjahr besser.“
- „Kann ich nicht noch ein Referat machen? Oder nee, ich gebe Ihnen 5€!“ Ich muss lachen.
- „Sie haben ein witziges Lachen!“
- „Das heißt, witzige Lache, bist du dumm?“
Schon wieder meldet sich Can. Nein, er schreit es rein. Melden ist heute nicht drin. „Also letztes Jahr haben Sie mir eine 3 versprochen und dann habe ich eine 4 bekommen. Wissen Sie, wie depri ich war?“ Kann ich mir vorstellen, aber wohl eher von eigenen Leistungen. Nichts habe ich versprochen.
„Ich bin ja eigentlich ein stolzer Zweierkrieger, aber, wenn ich jetzt keine 1 habe, weiß ich auch nicht“, wirft Deniz ein. Momentan ist er der beste in der Klasse. Ich muss zugeben, er ist nur knapp an der 1 vorbeigeschrammt.

Gäbe es noch das Sitzenbleiben, hätten 7 Leute bei gleichbleibenden Leistungen im 2. Halbjahr das Jahr wiederholen müssen! Aber so.. problemlos bis zum Schluss durchspazieren und dann hoffentlich den Abschluss bekommen. Momentan sage ich.. mindestens sechs bleiben ohne. Hoffentlich werde ich Unrecht behalten und die Kiddies kriegen es endlich hin- mit den Noten, Fehlzeiten und Verspätungen. Amen. Ich schreibe jetzt mal Zeugnisse und rufe diverse Eltern an. Wegen der massiven Fehlzeiten und anderen netten Dingen. Lieblingsbeschäftigung. Beides.


1 Kommentar:

  1. Selbstkritisch zu sein und sich so zu verhalten ist nicht einfach und leicht. Die Kinder sind meistens überzeugt, dass sie viel besser sind als die Noten, die sie bekommen. Wie jeder anderer Erwaschsene ebenso.
    Die Enttäuschung ist selbstverständlich. Die Rechtfertigung der Lehrer ist frustrierend und überflüssig.
    Die Story ist typisch aber gleichzeitig Klasse! Danke für die erstklassige Unterhaltung.

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