Mittwoch, 16. Mai 2012

Auf Spurensuche


Reue ist der feste Vorsatz, beim nächsten Mal keine Fingerabdrücke zu hinterlassen.

Marcel Achard

Ich liebe das Gefühl vom langen Wochenende. Man kommt aus der Schule und muss sich nicht beeilen, weil noch so viel Schulzeugs ansteht. Man kann es auf morgen, übermorgen oder überübermorgen verschieben. Und dazu kann man noch ausschlafen. Gefühl der Freiheit. Herrlich. 

Dieses Gefühl kommt allerdings nach der Schule. In der Schule muss man doch noch das ganze Schulzeugs klären. Am besten gestern. Meine ganze Aufmerksamkeit in den drei Tagen galt dem Desaster letzte Woche. Das Desaster des verwüsteten Klassenraums. Diese Woche gab es keinen Ordnungsdienst. Jeder sollte Verantwortung für die Klasse übernehmen und mitanpacken. Ohne dass ich die einzelnen Schüler dazu auffordere, zu kehren, Tafel zu wischen oder Müll rauszubringen. Hat gut funktioniert! Irgendwas von meinen Moralpredigten ist doch hängengeblieben. Ich habe mich also bei den Kollegen umgehört, die Schüler interviewt und versucht, Augen und Ohren offen zu halten. Schüler nehmen dem Lehrer das Versprechen ab, ihren Namen nicht zu erwähnen und erzählen einem so ziemlich alles unter vier Augen. Jetzt müssen nur noch die Übeltäter zur Rede gestellt werden.
“Nafisa, Yunus und Mandy! Ihr bleibt hier, alle anderen können gehen.”
Dejan bleibt noch kurz stehen. - “Mrs. Johnson, wie krass werden die vier Tage ohne mich für Sie? Sie werden mich übertrieben vermissen, stimmt’s?”
“Dejan, langsam könntest du dir was Neues einfallen lassen. Du bringst vor jedem langen Wochenende denselben Spruch! Und ich sage dir jedes Mal wieder, dass es hart wird, aber ich versuchen werde, es zu überleben!”
- “Ok, ich werd nachdenken über neue Sprüche. Schönes Wochenende und machen Sie keine Dummheiten! Versprochen??”
“Jaja, Tschüß Dejan.” Er grinst, winkt mir zu und geht zur Tür.
“Dejaaan, dein Stuhl! Soll eine Fee vorbeifliegen und ihn hochstellen?”
- “Ah so, ja.”

Mandy, Yunus und Nafisa stehen immer noch vorne. Während ich mich mit Dejan unterhalte ich, höre ich mit einem Ohr, dass die drei überlegen, warum sie hier stehen. Wahrscheinlich haben sie den verwüsteten Raum bereits vergessen. Ich nicht.

“Möchtet ihr mir etwas sagen??”
- “Hä?”
“Ob ihr mir etwas erzählen möchtet?!”
- “Was denn?”
“Ja, dann denkt mal scharf nach!” Ratlose Gesichter.
“Ich gebe euch zwei Tipps. Locher und Papier.” Nafisa ist die erste, die reagiert.
- “Jaaa, als ob nur ich das gemacht habe! Isabel muss jetzt nicht hier stehen! Was das? Voll unfair!”
“Nächste Woche kann dir Isabel gerne beim Ordnungsdienst helfen.”
- “Trotzdem.”
“Kannst du mir vielleicht erklären, warum man einen Locher durch die Klasse wirft, Konfetti, die rausfallen, liegen lässt und so tut, als ware nichts geschehen?”
- “Jaaa, wenn ich sauer bin…”
“Hmmm, ich verstehe. Wenn man sauer ist, dann wirft man mit Lochern durch die Gegend?”
- “Mrs. Johnson, diese Klasse ist behindert! Ich war soooo sauer!”
“Und hat es geholfen? Vielleicht sollte ich das auch ausprobieren, wenn ich das nächste Mal sauer bin?”
- “Hä?” Die beiden anderen stehen schweigen daneben.
“Und ihr? Habt ihr hier eine Papierschlacht veranstaltet, weil ihr euch auch wegen etwas abreagieren musstet?”
- “Neee, hat Spaß gemacht. Nur Spaß…”
“Ich habe nichts gegen Spaß, aber dann räumt hinter euch auf. Und vor allem, steht zu dem, was ihr hier fabriziert und schweigt nicht, wenn ich frage, wer für den Saustall verantwortlich ist!”
Alle drei schauen zu Boden. Yunus flustert kaum hörbar: - “Jaaa…”
“Am Montag bringt ihr Putzmittel mit und bringt diese Klasse zum Glänzen! Und wenn ihr Glück habt, dann auch die übrigen Klassen auf diesem Stockwerk!”
Die drei gehen mit gesenktem Kopf raus. Mandy bleibt noch einen Moment in der Tür stehen.
- “Woher wissen Sie??”
Jetzt kann das Wochenende beginnen.


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