„Ich bin kein
religiöser Mensch. Aber wenn es dich
wirklich gibt, dann rette mich Superman!"
Homer Simpson
Heute
hätte ich den Superman echt dringend gebraucht. Oder die bezaubernde Jeannie
oder Batman oder jeden anderen Superhelden, der mich aus dieser Situation
befreit.
Ich
betrete pünktlich um 7 Uhr die Schule. Der Hausmeister baut sich vor mir auf. Erster leiser Hilfeschrei des Tages. Hoffentlich
wartet er nicht auf mich. Auf die Begrüßung verzichtet er und fängt sofort
mit seiner Rede an.
“Was
haben Sie sich dabei gedacht? Können Sie Ihre Klasse nicht kontrollieren? Die
Putzfrauen haben sich beschwert, die konnten den Raum gestern kaum betreten.” Ah du Schande, was ist denn da wohl
passiert?
Wenig
später betrete ich den Raum und kriege meinen Mund nicht mehr zu. Ich habe ihn
noch nie so verwüstet gesehen. Auch keinen anderen Raum eigentlich. Überall auf
dem Boden liegt Papier. In verschiedenster Form. Bunt, weiß, ausgeschnitten,
ganz, Konfetti aus dem Locher, beschriebene Blätte, Arbeitsblätter. Der Besen
liegt mitten im Raum. Die Schaufel in der anderen Ecke. Im Tafelwassereimer
schwimmen weitere Schnipsel und der Rest eines Apfels. Ich könnte kotzen. Die
Stühle sind auch überall im Raum verteilt. Auf den Tischen, unter den Tischen,
liegend auf dem Boden. In verschiedensten Positionen. Ich könnte kotzen. Im
direkten und übertragenem Sinne. Vor allem fühle ich mich aber verraten. Alles,
woran ich gearbeitet habe, ist weg. Vertrauen, Verantwortung, Rücksicht wie
noch nie da gewesen. Den Raum so zu verwüsten, ist ja das Eine. Aber es genauso
liegen zu lassen, geht schon gar nicht. Alles egal. Geht mich nichts an, Mrs.
Johnson oder jemand anders wird sich schon kümmern. Ich lasse einfach mal alles
so stehen und liegen. Muss man denn echt jedem hinterher rennen und gucken, ob
die Aufgaben erledigt werden??? Ob jeder Platz nach dem Unterricht sauber
verlassen wird?? Verdammt!
Mein
Kopf raucht. Ich brauche den Superman hier. Mindestens. Ich bin soooo sauer.
Langsam trödeln die Schüler ein. Ich lasse sie alle einen Blick in den Raum
werfen und weiterziehen. Ohne viel zu reden. Die Schüler versuchen, Schlimmeres
zu verhindern.
-
“Mrs. Johnson, ich räume das jetzt auf.”
“Nein.”
-
“Ist unsere Klasse jetzt tot?”
“Ja.”
-
“Wir waren das nicht.”
- “Sie
sind übertrieben sauer, wa?”
-
“Welche Missgeburt war das?”
-
“Abouu, so sah unsere Klasse ja noch nie aus!”
Yunus
nimmt den Besen und fängt an, zu fegen. Die anderen staunen. Walmir fragt jede
Minute, ob er das aufräumen soll. Noch
nicht, es soll erst mal jeder sehen. Mittlerweile haben sich auch Schüler
aus anderen Klassen versammelt. Jeder will sehen, warum Mrs. Johnson vor der
Klassentür Stellung hält. Ein Mädchen aus der siebten kommt auf mich zu.
- “Mrs.
Johnson, können Sie mir bitte die Toilette aufschließen?” Trotz der nett formulierten
Frage muss ich ablehnen.
“Leider
nein. Ich muss hier stehen bleiben und meine Schüler persönlich in Empfang
nehmen.”
- “Ich
kann auch für Sie hier mit traurigem Gesicht stehen.”
“Neeeeein!!!”
Meine
Gedanken überschlagen sich.
“Die
ganze Schule sollen sie putzen!”
“30000
Mal abschreiben, ‘die Putzfrauen sind nicht meine Sklaven!’”
“Putzmittel
aus der Klassenkasse bezahlen und die Klasse nach dem Unterricht putzen
lassen!”
“Keine
Lust mehr. Sollen die doch sich selbst unterrichten und selbst Ausflüge und
Klassenfahrten planen.”
"Den Klassenraum noch mehr verdrecken, bis die Schüler selbst aufschreien."
"Nackenschellen verteilen."
"Einsperren, bis es sauber wird. Inklusive Boden, Fenster und Tische."
“Eltern
in die Klasse einladen und sie dieses Desaster sehen lassen.”
"Anzeige wegen Familienbeleidigung riskieren und fragen, ob es zu Hause auch so aussieht?!"
“Nachsitzen,
vorsitzen und noch mal nachsitzen lassen.”
“Die
125te Moralpredigt halten.”
Irgendwie
bin ich von keiner Idee so richtig überzeugt. Ist ja nicht so, dass es diese
ganzen Maßnahmen noch nie gab. Ich fühle mich echt etwas machtlos. Ich rede,
rede und rede und fahre gegen 26 Wände. Mit voller Wucht. Zum Glück habe ich Zeit
bis zur fünften Stunde, einen Plan auszudenken.
Den
ganzen Tag über spiele ich beleidigt. Jeder aus meiner Klasse, der mir über den
Weg läuft, traut sich nichts zu sagen. Gut so. Ich spreche auch keinen an.
Die
Wut wurde bis zur fünften Stunde nicht besser. Ich komme in die Klasse, knalle
mit der Tür und werfe meine Tasche hin. Alles Echt, kein Funken Schauspiel. Habe
ich schon erwähnt, dass ich sauer war?? Jeder steht auf seinem Platz. Still wie
noch nie. Ich höre das Atmen der Kinder. Und ich lege los. Ich sage natürlich
nicht alles, was ich mir vorher überlegt habe. Ich spreche das aus, was mir
spontan in den Kopf kommt. Und werde immer lauter. Irgendwann schreie ich. Der
Wahnsinn. Wahrscheinlich das zweite Mal in meinem Schulleben. Schüler sind
baff. Gut so. Immer wieder versuchen sie… - “Aber, Mrs. Johnson….”
“Ich
will nichts hören!!” Irgendwann habe ich alles gesagt, was ich sagen wollte.
-
“Aber Mrs. Johnson, wir waren das gar nicht!”
“Was,
kam die Putzfrau vorbei und hat alle Mülleimer noch mal mitten in der Klasse
ausgeschüttet?? Oder waren Frau Soundso und ich das? Haben uns vielleicht einen
kleinen Scherz erlaubt??”
-
“Nein, aber ich schwör. Als wir gestern weggingen sah es nicht so aus. Es sah
nicht so gut aus. Aber nicht so!”
“Und
warum sah es nicht so gut aus???”
-
“Ja, keine Ahnung… Aber danach… Jemand war drin.”
Ich
bin mir ja auch sicher, dass es höchstens vier einzelne Schüler waren, die
jetzt vor sich hin schweigen. Alle anderen haben den Raum tatsächlich zuletzt
in einem sauberen Zustand gesehen. Mein Vorhabe, zu bestrafen, schwindet immer
mehr. Die ganze Klasse zu bestrafen, ist doof. Über Sinn und Unsinn von Strafen
lässt es sich sowieso streiten. Die
wahren Schuldigen kommen natürlich nicht ans Licht. Ich greife also zu der
üblichen Methode. Reden. Nur reden. Aber diesmal nicht alleine, sondern mit
allen. Und sieh an, Gesprächsregeln werden eingehalten. Wir diskutieren
darüber, wiedie Schüler sich ihr zukünftiges Leben vorstellen. Es ist ein
wirklich nettes Gespräch. Irgendwie auf der gleichen Höhe. Vom verdreckten
Klassenzimmer schwappt es über. Auf Schwänzen, Pünktlichkeit, schlechte
Leistungen, Gewalt. Warum sie keine Verantwortung übernehmen, warum ihnen alles
egal ist und warum sie keinen Wert auf einen vernünftigen Abschluss legen. Ich
will es verstehen. Ich erzähle ihnen, dass wir in den ersten Monaten in Deutschland auch von Sozialhilfe gelebt haben. Und dass es kein Spaß macht, sich nichts leisten zu können. Und wie cool es wäre, Geld zu verdienen und sich einige Wünsche erfüllen zu können. Ich habe das Gefühl, dass die Moralpredigt diesmal anders
verlaufen ist. Etwas effektiver. Die persönliche Schiene zieht immer. Ich bin zwar nicht zum Unterrichten gekommen,
aber andere Dinge müssen eben auch geklärt werden. Danach wünschen wir uns
gegenseitig alle ein schönes Wochenende und verabschieden uns. Auch ohne
Superman geschafft. Bevor alle rausgehen sagt Mandy:
-
“Wie? Keine Strafe?”
“Nö.”
-
“Ich liebe es, wenn Sie so nett sind. Sie sind zu nett.” Leider ja.
“Ich
will jeden einzelnen von euch zum Abschluss bringen! Das ist mein einziges
Ziel, nicht irgendwelche Strafen zu verteielen. Aber ihr müsst da schon bisschen
mithelfen. Einfach so bekommt ihr das Zeugnis nicht.”
-
“Sie werden bestimmt weinen, wenn wir das Zeugnis bekommen.” Kann gut sein. Aber nur vor Freude.
Zum morgendlichen Empfang: "Ihre Klasse..."
AntwortenLöschenWir haben uns an der Schule mit der Zeit darauf geeinigt, die 8a, die 9g usw. zu sagen. Das nimmt von der Lehrkraft schon mal die Verantwortlichkeit für Fehlverhalten, Verhalten, für das andere, z.B. die Eltern, zuständig sind. Und wer war es wirklich?
Na keiner natürlich! Ist von selbst so schmutzig geworden...
LöschenWas würden Sie denn in dieser Situation machen?
Das ist schwierig und hängt von der Klasse ab.
LöschenIch blöffe manchmal und sage es jemandem auf den Kopf zu (Schüler, die immer dabei sind).
Oder ich habe jemanden, dem ich vertrauen kann und der/die sagt es mir. Der/die darf natürlich nicht verraten werden.
Wer war am Unterrichtsschluss in der Klasse?
Wer hat evtl. aufgesperrt?
Wann sah die Putzfrau das Desaster?
Am Montag geht die Detektivarbeit weiter!
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