“Mach sichtbar, was vielleicht
ohne dich nie
wahrgenommen worden wäre.”
Robert
Bresson
Hektik. Aufregung. Noch mal Hektik. Ahhhh,
der Fotograf kommt. Mädels schminken einander. Jungs versuchen sich zu fünft in
einen Spiegel der Mädchen zu quetschen. Nur Fatih sitzt auf seinem Platz und
ist eindeutig sauer.
- “Aller, Mrs. Johnson, wieso sagen Sie
nicht, dass die heute Fotos machen??”
- “Du Opfer, hat sie 5 Mal oder so gesagt.
Putz dir ma die Ohren. Opfer!”
“Danke Umut, wenigstens einer, der mir
zuhört. Und ja, ich hab es sogar an die 10 Mal gesagt, dass der Fotograf
kommt!”
- “Jaaa, machen Sie mich fertig! Hat jemand
ein Hemd für mich?” Fatihs Frage bleibt unbeantwortet. Der Jogginganzug von
Adidas muss auch für’s Foto reichen.
“Komm Fatih, Kopf hoch. Wenn du nett
lächelst, guckt doch keiner auf deine Kleidung!”
- “Nett lächen, nett lächeln… Seit wann
lächele ich denn nett? Dann denken alle, ich wär schwul!” Message
verstanden. Ich lasse dich jetzt einfach in Ruhe. Lächel doch, wie du willst!
Oder eben gar nicht!
“Ihr habt noch fünf Minuten Zeit, beeilt euch
bitte mit der Beauty-Farm!”
- “Was fünf Minuten? Mrs. Johnson, is Ihr
Ernst? Ich muss noch Augen schminken!” Wie, noch Augen schminken? Die
leuchten doch schon in knallblau…
“Betül, deine Augen sind ausreichend
geschminkt, du musst sie doch nicht anmalen!”
- “Nein man, auf Foto sieht’s voll scheiße
aus, muss glänzen, wissen Sie?” Im selben Moment nimmt Betül eine Hand voll
Glitzerzeug und schmeißt es sich gegen die Augen. Ich schätze, mindestens die
Hälfte des Inhalts landet auf dem Boden.
Endlich sehen alle wie Models aus. Quasi
Models. Zuerst soll ein Klassenfoto gemacht werden. Draussen sind Bänke und
Stühle aufgebaut. Die Großen sollen nach hinten auf die Bänke und die kleinen
sich vorne auf die Stühle setzen. Nach einer Minute gescheiterten
Positionierens, fängt die ziemlich junge Fotografin an, mir leid zu tun. Doch,
sie lässt nicht locker. Allerdings geht ihre zarte Stimme im Gebrüll unter.
Lukas fliegt alle zwei Sekunden von der Bank und nimmt seine Nachbarn mit.
Isabel schreit immer wieder: - “Dejan, du Spasst, zieh mich nicht an den
Haaren. Mein Kopf fliegt gleich weg.” Dejan schreit zurück: - “Ich mach doch
nix, das war Deniz.” Deniz schubst die ganze Zeit Melissa, die natürlich als
Reaktion auch schreien muss. Ich fühle mich, wie im Stadion. Dann setze ich
meinen Kaserenton an und für zwei Minuten wird es auch endlich ruhig. Ohne
Kasernenton geht gar nichts. Die Fotografin fährt fort.
- “Du da, im karrierten Hemd, geh runter. So
wie ich es dir gleich gesagt habe.”
- “Du im roten Pulli, dreh dich halb nach
rechts!” Max deht sich nach links und steht mit dem Rücken zur Kamera. Es
ist zum Verzweifeln.
- “Du mit dem Rock, setz dich hin. Da steht
extra dafür ein Stuhl!”
Ich weiß nicht, wie es bei anderen Klassen
gelaufen ist, aber ich bin mir sicher, dass wir den Zeitrekord furs Gruppenfoto
aufgestellt haben. Ich bin genervt und stelle wieder einmal fest, dass wir am
Benehmen vor und mit anderen Menschen noch arbeiten müssen. Immer wieder.
Endlich können Einzelfotos geschossen werden.
Isabel bekommt von dem zweiten Fotografen die Klassenliste in die Hand. Sie
muss die Schüler nach der Reihenfolge aufrufen und sie abhacken.
- “Oh Gott, Mrs. Johnson, ich schaff das
nicht!”
“Doch doch, das kriegst du schon hin!” Und
tatsächlich, Isabel kommt mit der Geschwindigkeit des Fotografen kaum mit, gibt
jedoch nicht auf.
Fatih kommt vom persönlichen Fototermin
empört zurück.
- “Was das? Hat dieser Opferfotograf 1€
gekostet? Der behinderte… Der hat nicht
mal 1,2,3 oder so gesagt! Nur so: ‘jetzt!’ Und hat sofort Klick gemacht. Ich
konnt mich gar nicht richtig vorbereiten. Ich geb dem Nacken!” Hoffentlich
ist der Fotograf so sehr in seine Arbeit vertieft, dass er das alles hier nicht
mitbekommt.
- “Mrs. Johnson, soll ich Foto mit oder ohne
Haargummi machen?” Mandy steht sichtlich aufgeregt vor dem Spiegel und kann
sich nicht entscheiden.
“Auf jeden Fall mit offenen Haaren! Sieht
doch besser aus!”
- “Ok danke, Mrs. Johnson. Sie haben mich
gerettet, ich wusste echt nicht!”
Endlich sind alle durch und ich mache in
Gedanken drei Kreuze. Der Fotograf holt Gülcan zu sich. Sie soll sich alle
Fotos noch mal anschauen und sagen, ob nicht jemand vergessen wurde. Gülcan
kommt aber nicht alleine. Mit ihr gehen, Max, Betül, Jocelyn, Dejan, Abdul und
Bülent. Der Fotograf wiederholt noch einmal, dass er die Aufgabe nur Gülcan
anvertrauen möchte. Auschließlich Gülcan. Er wiederholt es noch mal und noch
mal. Beim fünften Mal hat es auch Betül verstanden. Beim Weggehen schreit sie:
- “Ey Gülcan, guck mal, ob ich scheiße aussehe und sag mir dann!” Gülcan nimmt
sie nicht wahr, sie ist bereits ganz vertieft in die Fotos…
So isses.
AntwortenLöschenWir machen die Fotos übrigens selbst. Da ist kein Fotograf gestresst. Aber es verdient auch niemand dabei.
Das mit den Fotos ist wirklich zwiespältig! Einerseits bin ich ja froh, dass das Profis übernehmen. Dennoch, während der Session die Klasse bei Laune halten und dann dem Geld für die Fotografen hinterher rennen, macht einfach keinen Spaß.
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