“Wer von seinem
Tag nicht zwei Drittel für sich selbst
hat, ist ein Sklave.”
Friedrich Nietzsche
Ich
liege gerade im Bett und kann mich nicht bewegen. War das wirklich nur ein
Schultag, der soeben vergangen ist? Mir kommt es vor, als wären es 10 Tage. 10
verdammt lange Tage. So viel ist heute Vormittag passiert. Alles, außer
Unterricht. Gestern Abend habe ich mich mit meinen Mädels getroffen und habe
ihnen bisschen von dem momentanen Schulalltag berichtet. Nach den Geschichten,
schaute mich eine von ihnen unglaublich an und fragte: “Macht der Job dir
wirklich Spaß? Dieser Job kann dir doch keinen Spaß machen??” Nun ja, keiner
hat mich gewarnt, dass es so sein würde. Dass das Unterrichten bei Weitem nicht
das Hauptgeschäft sein würde, sondern alles andere, was man am besten gestern
regeln sollte. Aber ja, ich liebe den Job. Meistens. Nur nicht an Tagen wie
heute.
Schon
am Schultor begegne ich Mandy und ihrer Mutter. Die Mutter fängt gleich an,
mich mit ihren Bedenken zu bombardieren. Wie das sein kann, dass so ein teueres
Handy verschwindet? Ähmm, Entschuldigung,
warum hat Ihr Kind überhaupt so ein Handy und bringt es mit in die Schule? Warum
wir Lehrer nicht aufpassen und nicht mit der Klasse reden, warum geklaut wird
und warum das und warum jenes. Genau das, was man am frühen Morgen, noch halb
verschlafen, braucht! Ich höre mir das paar Minuten an, entschuldige mich, weil
ich noch einiges vor Unterrichtsbeginn zu tun habe, verspreche, mich drum zu
kümmern und verschwinde im Schulgebäude. Mandy dackelt mir hinterher.
Ich
könnte schon am frühen Morgen kotzen! Können die denn nicht einen Tag
aushalten, ohne irgendwas anzustellen? Bzw. sollen die doch anstellen, was sie
wollen, aber außerhalb der Schule! Ich will nicht jedes Mal Sherlock Holmes
spielen müssen! Heute muss ich es wohl…
Dieses
Spiel zog sich den ganzen Tag hin, ich kann hier aus wochenendtechnischen
Gründen leider nur einige wenige Einzelheiten erzählen.
Zuerst
habe ich mir Mandy und Isabel, die daneben saß, geschnappt. Natürlich alles
während des Unterrichts. Tür aufgelassen und draussen die Schüler befragt.
Mandy ist total aufgelöst. Immer noch. Isabel versucht sie zu unterstützen, wo
sie kann. Das Handy wurde also direkt aus der Tasche entwendet, als Mandy kurz
auf Toilette war. Die beiden sind sich relativ schnell einig, dass es sich bei
den Tätern nur um Dejan und/oder Fatih handeln kann. Immer wieder die zwei… Langsam reicht’s!
Zum
zweiten Verhör hole ich also Dejan und Fatih vor die Tür und frage sie, ob sie
was wissen. Meine Stunde ist schon lange flöten gegangen.
Fatih
wird sofort laut und fängt an, zu schreien.
-
“Ich bin immer der Täter! Wieso verdächtigen Sie immer mich?”
“Ich
verdächtige dich doch gar nicht, ich will nur wissen, ob ihr etwas wisst, was
uns weiterbringen kann!” Dejan sitzt da, wie ein Engel. Den üblichen Hundeblick
drauf.
-
“Aller, Mrs. Johnson, wieso glauben Sie so schlecht? Ich hab dem Scheißhandy
nicht! Ich schwör auf alles! Auf meine Mutter, Koran und mein Leben!”
-
“Was ein Schock ich hatte, als Sie sagten, Sie wollen mit mich sprechen! Ich
schwör, ich hab nix gemacht! Immer ich und so. Reicht! Ich sag Ihnen, Sie bekommen so Probleme, wenn sie mich noch mal verdächtigen!”
“Jungs,
geht noch mal in euch und überlegt, ob ihr wirklich so unschuldig seid! Wir
sprechen nachher noch mal!”
Zum
dritten Verhör (mittlerweile läuft die zweite Stunde meines Unterrichts) hole
ich Tuncer. Er sitzt auch da in der Ecke, er muss etwas mitbekommen haben!
“Ich
höre!”
-
“Ich weiß nix!”
“Ich
glaube dir kein Wort!”
-
“Aller… wieso??”
“Weil
ich es hasse, wenn ihr einander für eure kriminellen Machenschaften deckt!”
-
“Was Krimi?”
“Das,
was da passiert ist, ist kriminell! Wir sprechen von einer Straftat. Wenn ich
hier nicht weiterkomme, dann muss ich die Sache an die Polizei weitergeben!”
-
“Aber der ist mein Freund…”
“Das
ist keine Freundschaft. Das ist dumm und feige! Wenn ihr schon Scheiße baut,
dann steht auch dazu!”
-
“Wie reden Sie mit mir? Haben Sie gesagt, ich bin dumm??”
“Tuncer,
ich warne dich! Bleib bei der Sache!”
-
“Cüs lan, wie Sie mich zwingen! Ok, ich sag was, aber nur für 100€!” Ich glaube, ich höre nicht recht!
“Sehe
ich aus wie jemand, der mit dir Geschäfte machen möchte??”
-
“Ok 5€! Ich mache Sie Angebot!”
“Und
sehe ich vielleicht aus, wie ein Gemüseverkäufer auf dem Markt, mit dem du
handeln kannst??? Tuncer! Die Sache ist ernst und du hast gewaltige Probleme,
die mit jeder Minute größer werden…”
-
“Also eigentlich haben Sie eine echt gute Entscheidung getroffen mit mir. Ich
bin Profi, ich hab schon alles gesehen und vooooll viel gehört.”
“Ich
treffe grundsätzlich gute Entscheidungen und du auch, wenn du jetzt endlich
redest!!! Du verschwendest meine Zeit und hälst mich von meiner Arbeit ab!! Ist
dir das klar??? Ich glaube nicht, dass du meinen Stundenlohn zahlen möchtest!!”
-
“Ok ok, kommen Sie ma runter!!”
“Komm
du mal runter!” Endlich fängt Tuncer an, zu reden. Er nennt paar Fakten und ein
paar andere Namen. Ich verhöre also laaange alle, die da irgendwie mitgemischt
haben.
---
Bitte nicht stören, Sherlock Holmes bei der Arbeit! ---
Und
werde immer wütender und immer müder.
Die
Lehrer wechseln. Zum Glück habe ich heute einige Stunden in der 10ten. Die sind
nur froh, wenn man sie in Ruhe lässt und können auch schon auf sich selbst
aufpassen. Trotzdem bescheuert. Aber die Handygeschichte muss jetzt geklärt
werden.
Als
ich mit dem letzten ‘Zeugen’ vor der Tür sitze, kommt ein Schrei aus dem
Klassenraum. Yunus rennt raus. Er ist total aufgeregt und kriegt kaum zwei
Wörter zusammen. Ich muss ihn erst mal beruhigen, um zu verstehen, was er sagen
will. - “Mrs. Johnson, Mrs. Johnson… ich schwör, ich war’s nicht. Das Handy lag
plötzlich in meiner Tasche!” Diese feigen
Flaschen! Handy klauen und wenn es brenzlig wird, dann einem Unschuldigen in
die Tasche stecken, damit er dann den Ärger kassiert! Unfassbar!
Nach
drei Stunden habe ich, glaube ich, die ganze Geschichte zusammen. Nach dem alle
‘Zeugen’ ein bisschen bis viel gelogen, mir jeweils eine andere Geschichte
erzählt haben und keiner es getan haben soll. Es war so:
Dejan
muss das Mathebuch bezahlen, weil er sein Buch quasi zerstört hat. Entweder
bezahlen oder neues besorgen. Ganz einfach. 20 € sind aber viel, die will man
ja nicht unbedingt ausgeben. Also bittet er Bakr aus der Parallelklasse ein
Deal an. Bakrs Buch gegen das Handy von Mandy. - “Du gibst mir dein Buch, ich
besorg dir Handy!” Beim ‘Besorgen’ greift ihm Fatih natürlich nur allzu gerne
unter die Arme… Und Dejan kann ein ordentliches Buch vorweisen. Und dann sitzen beide vor mir und schwören auf alles, dass sie es nicht waren. Der Plan ist nur nicht ganz aufgegangen…
Erst
der halbe Tag ist vergangen und ich bin schon fix und fertig. Und sauer. Womit
beschäftige ich mich hier eigentlich den ganzen Tag??? Sind die alle noch
normal??? Zumindest ist es jetzt geklärt und ich kann in Ruhe den restlichen
Tag unterrichten. Denke ich, bis ich die Stimme des Direktors höre. “Mrs.
Johnson, Sie gehen doch jetzt in die Klasse von Frau Kirchner? Da gab es eine
Schlägerei in der Pause. Ein Junge ist im Krankenhaus mit blutender Nase.
Können Sie versuchen rauszufinden, wer ihm den entscheidenden Schlag verpasst
hat?” Natürlich, mache ja sonst den
ganzen Tag nichts anderes.
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