Mittwoch, 11. Januar 2012

Zahltag


Wir müssen alle hohe Ansprüche haben, in dem Wissen, dass wir alle fehlbar sind.“
Christian Wulff

Heute war Zahltag. Am ersten Mittwoch des Monats wird gezählt, wer was für den vergangenen Monat zahlen muss, eine Woche später muss das Geld da sein. Nachsitzen- scheißegal. Tadel- scheißegal. Anruf zu Hause- mir doch egal, ob sie meine Mutter anrufen. Zahlen für Vergehen- oh nein, bitte nicht. Geld ist das einzige, was weh tut. Jeder Eintrag ins Klassenbuch kostet 50 Cent, jede Verspätung genauso. Beim Tadel muss schon 1€ her. Wobei ich die Tadel diesen Monat nicht gezählt habe, sonst wären die Schüler bankrott gegangen. Auch eine Art die Klassenkasse zu füllen, wenn die Eltern schon nicht zahlen. Und an alle Moralapostel: ja, ich darf das! Eltern einverstanden, Schüler einstimmig dafür gestimmt. Fährst du über rot, musst du auch zahlen.
Dezember war gewinnbringend. 28€ gesammlelt. Beim nächsten Ausflug gibt es eine Kugel Eis für alle. Gewinnbringend für die Klassenkasse, nicht für die Lehrernerven. Abdul hat Einträge für 4,65€ gesammelt.

- „Ey, Mrs. Johnson, bitte, darf ich Raten zahlen? Heute 1€, Freitag 2€ und nächste Woche 2€?“
Du, willst 5€ zahlen? Kein Problem!“
- „Äh, nein. Ich meine nächste Woche 1,50. Ich schwör, ich bin nächsten Monat brav." Ja genau!
Nein, entweder heute zahlen oder 4,5 Stunden nachsitzen.“ Mir doch egal, soll er sich mal nächsten Monat tatsächlich benehmen.
- „Ok, hören Sie zu, ich mache Ihnen ein Vorschlag. Deal. Ich zahle jetzt 2€ und mache 3 Wochen Ordnungsdienst!“
Sehe ich aus wie ein Gemüseverkäufer mit dem du verhandeln kannst?? Diesen Monat eben nicht so viele Einträge kassieren.“
- „Aber ich hab doch schon 3 letzte Woche. Ohne Sinn. Ey, bitte, ich krieg erst nächste Woche Taschengeld und ich wollt noch MCs gehen. Ok, jetzt ehrlich letzter Vorschlag. Ich zahl 2,50 und sitze 2 Stunden nach.“ Das lasse ich gelten.

Diese Verhandlungen machen einen kirre. Abdul versucht ja noch irgendwie seinen Verpflichtungen nachzugehen. Justin dagegen: „Sie haben mich in der Öffentlichkeit deprimiert. Scheiße werde ich nachsitzen oder zahlen.“ Bei 7€ Schulden verwundert die Reaktion nicht. Deprimiert hin oder her.
Doch auch für ihn hat Abdul einen Vorschlag. - „Ey, putz doch die Schule, wenn du nicht zahlen kannst.“
Deine Mudda soll putzen.“ Sehr kreativ, Justin.
- „Dein Vater.“
Plötzlich hält Justin eine Schere in der Hand. „Soll ich dir den Nippel abschneiden, Fickfehler?“ Ich werde zunehmend wütend.
Was los, wenigstens frage ich, bevor ich schneide.“ Nett von dir.

Übrigens. Als Justin zum Beruhigen vor die Tür muss, erkläre ich den anderen, dass er ab nächsten Montag nach einem Sonderstundenplan getrennt von der Klasse unterrichtet wird. Es hat sich nämlich schon rumgesprochen. Bevor das Ganze wie eine Belohnung aussieht, muss ich die Sache richtigstellen. Warnung an den Rest, denn wir reagieren. Mindestens die Hälfte der Schüler jubelt.

5 Kommentare:

  1. Hallo, großer Fan!

    Habe allerdings eine Frage:
    Wie kann es sein, dass ein Justin in dieser Klasse, die ganzen Abduls und Alis dominiert?

    Ist Justin kein Deutscher?

    War selber in Berlin auf der Schule und da war das ein bisschen anders.
    Da haben Ali und Mohammed das sagen gehabt.

    Bitte um Erklärung, da ich den Blog echt gut finde, aber immer stutzig werde, wenn Justin ins Spiel kommt.

    Hochachtungsvoll,

    Max

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  2. Sehr angenehm, Max!
    Dominiert trifft nicht ganz zu. Wenn ich wüsste, warum Justin so ist, wie er ist, wäre ich weiter. Justin ist urdeutsch, aber längst angepasst. Justin ist da. Laut, aggresiv, dreist, störend und alle ignorierend. Meistens auf derselben Ebene mit Abdul, Bekir und Dejan.

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  3. Kapitalismus nach Karl Marx! Geld regiert die Welt.

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  4. Vielen Dank für die Antwort!

    Meine Vermutung hat sich bestätigt.
    Habe vor Jahren meinen Zivildienst in einem Jugendheim abgeleistet.
    Da habe ich auch festgestellt, dass die "Integration" auf dieser sozialen Ebene anders herum passiert, als eigentlich gedacht.
    Da in dem Heim gab es einen Marcel, der Blond und blauäugig war, geredet hat er allerdings als wenn er vor 3 Jahren aus Anatolien gekommen wäre.

    Finde diesem "Trend" sehr sehr sehr beunruhigend, da diese Sprachfehler ("sch" statt "ch"; "dein" - "deinen"; "ich gehe U Bahnhof" etc) nicht etwa nur den Weg zu Universitäten, DAX Unternehmen o.Ä. verschließen.
    Callcenter, Hotelrezeption bzw. alles wo man reden muss ist für diese Kids "off Limit" wenn sie so sprechen.

    Dass "Migranten" nicht perfekt Deutsch können, damit muss man sich abfinden. In Berlin können aber auch viele autochthone Deutsche Kinder nicht mehr "Deutsch als Muttersprache" sprechen = Neuer Tiefpunkt

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