Positive Schwingungen

„Ich fühle mich wie die Figur aus einem Computerspiel. Es gibt Leute, die fliegen bei Level 20 oder 30 raus, ich hab's bis Level 50 geschafft und noch ein bisschen Energie übrig.“

Campino

- “Mrs. Johnson, können Sie mir helfen?” Hmm, komisch. Luis redet sonst nie mit mir. Deswegen habe ich ihn wahrscheinlich auch noch nie hier erwähnt. Im Unterricht ist er stiller, als still und antwortet nur, wenn er etwas gefragt wird. Es muss sich um einen wirklichen Notfall handeln, sonst hätte er mich nie angesprochen.

“Nur eins?” Ich bereue sofort meine Frage. Jetzt hat er mich schon angesprochen und ich mache mich lustig! Darauf reagiert er nicht, sondern fährt weiter im Programm fort. Zum Glück!

- “Mein Vater hat mir Geld gegeben und hat gesagt, ich soll meiner Mutter was zum Muttertag kaufen. Haben Sie eine Idee für mich?” Das ist er also, der wirkliche Notfall.

“Ich halte nicht so viel vom Muttertag, deswegen sind meine Ideen in dem Fall wohl nicht die besten.”

- “Wieso nicht?”

“Weil ich denke, dass man keinen besonderen Tag braucht, um seiner Mutter zu danken. An dem Tag geben viele Leute viel Geld aus. Und die Wirtschaft freut sich. Deine Mutter würde sich bestimmt auch an jedem anderen Tag über eine kleine Aufmerksamkeit freuen.” Die Konsumindustrie hat uns alle im Griff…

- “Ja schon… aber jetzt habe ich das Geld von meinem Vater. Was schenken Sie denn Ihrer Mutter so zum Geburtstag oder so?”

“Hmmm, meistens ein Buch über Kunst. Weil sie so gerne Kunst mag. Ein Buch ist meiner Meinung nach, sowieso das beste Geschenk! Sagt meine Mutter auch immer.” Luis guckt mich mit ganz großen Augen an.

- “Wie Buch? Was soll denn meine Mutter mit einem Buch?”

“Ok, wie wäre es mit Blumen, Pralinen, Parfüm, Kinokarten, guten Noten??”

- “Nee…”

“Mehr Ideen habe ich momentan auch nicht!”

Wie aus dem Nichts, taucht Betül neben uns auf. - “Ey, Mrs. Johnson, kann man gute Noten echt kaufen oder machen Sie nur Scherz?”

“Denk mal ganz scharf nach!”

- “Scheiße, kann man nicht, wa? Ich würd sofort!” Ja, das glaube ich… Du hättest es auch echt nötig, gute Noten zu kaufen. Wenn es doch anders nicht funktioniert.

“Betül, schenkst du deiner Mutter denn etwas zum Muttertag?”

- “Was Muttertag? Sie soll sich freuen, dass sie mich hat! Da is nix mit Geschenken!” 

Und plötzlich realisiere ich, was für ein Glück ich habe. Ich sehe Betül, Abdul, Dejan, Can, René, Lukas, Fatih und alle anderen nur ein paar Stunden am Tag. Nicht mal jeden Tag. Ihre Mütter haben Sie (im besten Fall) nachts, nachmittags, am Wochenende und in den Ferien um sich. Und zack, geht es mir schlagartig besser! Man muss immer versuchen, der Sache etwas Positives abzugewinnen!

Und zum Schluss was ganz Anderes. Ich habe heute in den Medien die Forderung gelesen, man soll allen Lehrern, die an den so genannten Brennpunktschulen unterrichten, mehr Geld zahlen. Nun ja… ich bin dafür. Aber was versteht man unter einer Brennpunktschule?

- Eine Schule mit vielen Ausländern? Mehr als 50, 70 oder 90%?

- Eine Schule mit zahlreichen gewalttätigen Schülern?

- Eine Schule, an der besonders wenige Lehrer, Sozialarbeiter und Sonderpädagogen tätig sind?

- Eine Schule, die sich in einer sozial schwachen Gegend befindet?

- Eine Schule mit vielen Förderkindern?

Um die Sache zu vereinfachen, schlage ich eine Verbeamtung für alle vor. Damit Berlin wenigstens aus dieser Sicht wieder attraktiv für junge Lehrer wird und ich mich bei gleichem Pensum an Arbeit, nicht mehr so massiv von den älteren Kollegen im Lehrerzimmer unterscheide!!!

Na, wie wäre es? Können wir abstimmen?